Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Versprechen sexueller Potenz, verbilligte elektronische Produkte, Kreditkarten und Anti-Aging-Cremes, Anleihen in US-Dollar, Angebote sexueller Beziehungen und – am interessantesten – »wichtige Informationen über Ihren Zahnarzt«. Mein E-Mail-Postfach ist ein passiver Mülleimer für den Schmutz und den Unsinn der Welt, der mich und andere in einer Masse überschwemmt, welche Schätzungen zufolge jährlich über 80 Prozent der mehreren Hundert Milliarden weltweit verschickter E-Mails ausmacht.
Das ist genau jenes Bombardement, das die Schwarzseher zu Beginn der digitalen Ära so genüsslich vorhergesagt haben. Die Logik dieses Arguments jedoch bricht vollständig in sich zusammen, sobald ich kein passiver Empfänger mehr bin und zum aktiven und interaktiven Informationsteilnehmer werde. Wenn es um den aktiven Genuss digitaler Medien geht, ist Porno bestenfalls eine Ressource von begrenztem Nutzen und Interesse, obwohl ich vielleicht ab und zu bewusst pornografische Seiten aufrufe.
Tatsächlich sind die meisten Pornoangebote in Unterhaltungswert und Inhalt derart langweilig, dass sie im Kampf um aktive Aufmerksamkeit im Netz meist kläglich versagen. Es ist etwas, das man sucht, nutzt und wieder wegschaltet, doch sagt es nur wenig über uns selbst und andere aus. Jenseits der Grenzen des guten Geschmacks und mechanischer Möglichkeiten bietet Porno zudem fast nichts, was wir nicht schon wüssten.
Es ist eine kleine, sterile Welt für sich, voller Klischees und Wiederholungen: ein Ghetto, das wir, wenn wir einmal ehrlich sind, alle schon einmal besucht haben, wo wir aber keinesfalls mehr Zeit verschwenden wollen als unbedingt notwendig. Die Metapher des Ghettos ist auf mehreren Ebenen bedeutsam, enthält sie doch den Verweis darauf, dass hinter dem Wesen unseres Online-Verhaltens, unseren Bemühungen zu seiner Regulierung – und unser selbst – noch weitaus mehr steckt.
Der Wissenschaftsautor Steven Johnson sagte in einer Rede bei der TED-Konferenz in Kalifornien 2003, er stelle sich das World Wide Web als Stadt vor, etwas, »das von vielen Menschen erbaut wurde und von niemandem vollständig kontrolliert wird, etwas, das in sich fein vernetzt ist und doch in vielen Teilen unabhängig funktioniert«.
Johnsons Beispiel bietet einen nützlichen Bezugsrahmen dafür, wie wir sowohl unsere digitalen Beziehungen zueinander möglichst effizient nutzen als auch diese neue Welt entsprechend regulieren können: eine neue Welt, die sich weder durch eine Überwachung von oben noch durch allgemeine Nutzungshinweise zähmen lässt, die für ihren Fortbestand jedoch auf viele funktionierende, überlappende Gemeinschaftsformen baut.
Die Überwachung im modernen Wortsinn – eine staatlich finanzierte Stelle zur Durchsetzung von Gesetzen, die im öffentlichen Interesse und im Konsens mit der Mehrheit der Bevölkerung handelt – entstand im 16. und 17. Jahrhundert im Kontext der Anforderungen, die wachsende Städte hinsichtlich der Rechtsregulierung, des Gesundheitswesens und der Bürgerzufriedenheit stellten. Eine legitimierte und effiziente Polizeigewalt musste mit den örtlichen Gemeinden zusammenarbeiten, aus denen sie sich teilweise auch rekrutierte.
Wie oben dargelegt, entstehen einige der größten Gefahren menschlichen Online-Verhaltens aus dem Potenzial, Minderheiten zu unterdrücken oder zu missbrauchen und gleichzeitig einen Abstumpfungseffekt auf die Mehrheit auszuüben. Das gilt nicht nur für Sex und Sexualität, sondern für alle Verhaltensformen, deren Ziel es ist, andere auszubeuten, zu erniedrigen oder zu schädigen. Um uns und unsere Gesellschaften dagegen zu schützen, imitieren die besten digitalen Modelle die effiziente Überwachung städtischer Räume und verbinden dabei das Ethos einer Gemeinde, in der jeder auf den anderen achtet, mit externen Standards, die von innen heraus geltend gemacht werden.
Der amerikanische Herausgeber, Blogger und Vordenker der Free-Software-Bewegung Tim O’Reilly sah 2007 die Gefahr, dass Missbrauch und Unehrlichkeit vielen Mitgliedern der weltweiten digitalen Gemeinschaft die Internetnutzung vergällen könnten. Als Reaktion darauf präsentierte er einen siebenteiligen »Verhaltenskodex für Blogger«, bei dem er wie Johnson teilweise auf urbane Metaphern zurückgriff.
Die ersten sechs Punkte des Kodex richteten sich auf Fragen der Anonymität, wie mit potenziellem Missbrauch und Mobbing umzugehen sei, und schließlich darauf, dass Blogger für den Inhalt, der auf
Weitere Kostenlose Bücher