Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
hat sich die digitale Sphäre längst als fruchtbarer Nährboden für allerlei Formen der Entfaltung erwiesen. Abhängig vom jeweiligen Standpunkt ist dies ganz unterschiedlich zu bewerten: Für hochqualifizierte Berufsgruppen und Medienunternehmen mag das eine Sauregurkenzeit bedeuten; für leidenschaftliche Amateure wie für neue Talente hingegen sind die Möglichkeiten größer denn je, wenngleich die Gewissheiten gering sind.
Eines dieser Unternehmen ist beispielsweise das 2011 gegründete Unbound Books, das Schriftstellern eine Plattform bietet, ihre Gedanken direkt der lesenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Ähnlich dem im 18. Jahrhundert gängigen Modell, sich vor Erscheinen durch Vorbestellungen abzusichern, geht es darum, eine bestimmte Anzahl von Lesern von einem Manuskript zu überzeugen und mit deren Unterstützung die professionelle Produktion eines physischen Buches zu finanzieren. Unbound verschickt das fertige Werk dann direkt an die Leser.
Das ist nur ein kleines Beispiel. Doch ist es stellvertretend für das Vertrauen darauf, dass die digitale Öffentlichkeit weit mehr sein kann als ein ziellos surfender Pöbel. In den Worten von Noam Chomsky, einem frühen Bewunderer des Unbound-Modells, »könnte die Bedeutung recht substanziell sein« – insbesondere, wenn solche Muster die Struktur künftiger Unternehmen darstellen, bei denen Profite nicht zwangsweise auf Kosten von Qualität erwirtschaftet werden.
Bei all diesen Akten der Beteiligung und kultureller Investition sind die obersten Werte Vertrauen und Respekt: die Grundpfeiler verdienter Autorität in einem kommunalen Zeitalter. Schon vor über 400 Jahren, also in einer Ära, in der das Wort eines Mannes noch bindend war, erkannte Shakespeares Hotspur den Wert der Reputation. In den nachfolgenden Jahrhunderten umwarben unternehmerische Autoren beharrlich ihr Publikum und trugen damit zum Entstehen verschiedenster Literaturkulturen bei.
Heute lernen wir eine neue Variante dieser Lektion. Es gibt auf der Welt nicht mehr Experten als früher. Doch sind sie in dem Bestreben, Kompetenz zu artikulieren und zu fördern, neuerdings auf gleicher Augenhöhe mit ihrem Publikum. Beide sind von diesem gegenseitigen Vertrauen abhängig. Der alte Begriff von Autorität als etwas, das von einer Institution oder Position abgeleitet wird, weicht einem neuen, der sich als Ergebnis erfolgreicher Debatten definiert.
In ökonomischer und sozialer Hinsicht leben wir mit unserem althergebrachten Kulturverständnis in einer unsicheren Zeit. Doch müssen wir dringender denn je Differenzierungen vornehmen – und uns jene Gewohnheiten aneignen, die es uns ermöglichen, dies gemeinsam zu tun.
3 Free Ride , Robert Levine (Random House 2011).
6 Wie wir uns selbst entmenschlichen
1.
Pornografie, schrieb J.G. Ballard im Vorwort seines 1973 erschienenen Romans Crash , sei die »politischste Form der Fiktion, weil sie davon handelt, wie wir uns in vordringlicher und rücksichtsloser Weise gegenseitig benutzen und ausbeuten«. Diese Ausbeutung brachte er ausdrücklich mit der Technik in Verbindung und fügte seinem höchst verstörenden Werk eine Frage an, die während der vergangenen vier Jahrzehnte noch zusätzliches Gewicht erhalten hat: »Sehen wir im Autounfall Anzeichen für die albtraumhafte Vereinigung von Technik und unserer eigenen Sexualität …? Tut sich hier eine abartige Logik auf, die mächtiger ist, als der Verstand sie bietet?« 4
Keine Abhandlung über das Leben mit modernen Technologien wäre vollständig, ohne die Sexualität dabei zu berücksichtigen. Als Ausgangspunkt für die Erörterung der »abartigen Logik« ihres Verschmelzens eignet sich kaum etwas besser als die Masse pornografischer Angebote in den digitalen Netzwerken unserer Tage.
Entgegen allgemeiner Annahmen ist »Sex« nicht der am häufigsten eingegebene Suchbegriff im Internet. Wenn man Google nach »Sex« befragt, erhält man nicht einmal zweieinhalb Milliarden Ergebnisse – mehr als auf die meisten anderen Suchanfragen, aber charmanterweise immer noch weniger als ein Drittel der sieben Milliarden Ergebnisse für »Liebe«.
Die Schlüsselfrage ist also nicht, wie viel Rohmaterial zur Verfügung steht, sondern wie zugänglich es ist. Im Internet ist man nie weiter als eine Suchanfrage und einen Klick von Pornografie entfernt. Was einst ein Tabu war, ist inzwischen alltäglich. Man muss kein Spezialgeschäft mehr aufsuchen, und sämtliche Zugangsbeschränkungen – etwa das
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