Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
außerirdisches Leben sei höchst unwahrscheinlich, bis hin zu Spekulationen, die Aliens hätten sich allesamt selbst vernichtet – oder existierten und hätten uns längst entdeckt, wollten aber nicht, dass wir davon erführen. Miller hingegen offeriert einen Gedanken, auf den Fermi wahrscheinlich nicht gekommen wäre: »Ich glaube nicht, dass sich die Außerirdischen selbst in die Luft jagen. Sie werden einfach nur von Computerspielen abhängig.«
Mehr als ein Jahrhundert lang hat sich die Sciencefiction mit der Möglichkeit utopischer oder dystopischer Szenarien beschäftigt: von Aldous Huxleys düsterer Vision menschlicher Perfektion in Schöne neue Welt zu den humanoiden Robotern und künstlich gesteuerten Emotionen in den Büchern von Philip K. Dick.
Miller indes steht für eine eher unterschwellig besorgniserregende Richtung der Spekulation. Statt einen Himmel auf Erden zu schaffen, könnten wir uns eines Tages allesamt schlicht aus der Wirklichkeit verabschieden.
In zunehmendem Maße scheint es, als bewahrheitete sich diese Prognose zumindest in abgeschwächter Form. Der amerikanischen Spiele-Designerin und Autorin des 2010 erschienenen Buches Reality Is Broken zufolge verbringt die Menschheit insgesamt mehr als drei Milliarden Stunden pro Woche mit elektronischen Spielen. Das ist eine Zahl, die sich noch weiter erhöhen wird. Wir entsenden eine Massenmigration menschlicher Arbeitskraft, Aufmerksamkeit, Beziehungen und Identität in künstliche Räume, die explizit zu unserer Unterhaltung und Zerstreuung geschaffen wurden.
Die Beziehung zwischen virtuellen Aktivitäten und der individuellen Lebenszufriedenheit könne zu einem »schädlichen Immersionsdilemma« führen, warnte Edward Castronova, amerikanischer Ökonom und Erforscher virtueller Welten – zu einem Konflikt zwischen den ganz realen Freuden, die das Eintauchen in die virtuelle Sphäre bietet, und den potenziell schädlichen Auswirkungen auf das reale Dasein des einzelnen Internetnutzers und die Gesellschaft als Ganzes.
Im August 2011 veröffentlichten Castronova und der deutsche Wirtschaftsprofessor Gert G. Wagner in der Zeitschrift Kyklos eine Studie mit dem Titel »Virtual Life Satisfaction«. Die Studie verglich Daten aus der World Values Survey von 2005 mit einer Untersuchung aus dem Jahre 2009 unter Nutzern der virtuellen Welt Second Life und kontrastierte die relativen Veränderungen der Lebenszufriedenheit durch reale Ereignisse wie Arbeitslosigkeit mit den in einer Teilnahme am virtuellen Leben begründeten Abweichungen.
Der überraschendste Aspekt an Castronovas und Wagners Folgerungen war nicht, dass die Nutzung von Second Life die Lebenszufriedenheit steigerte – dies war zu erwarten gewesen, schließlich ist das Angebot komplett auf Unterhaltung angelegt. Vielmehr war es das Ausmaß, in dem die Lebenszufriedenheit zunahm. In wissenschaftlichen Studien ist die Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und geringer Lebenszufriedenheit eines der am deutlichsten feststellbaren Ergebnisse. Die Steigerung der Lebenszufriedenheit durch eine Teilnahme an Second Life indes war fast genauso hoch wie durch die Aufnahme einer neuen Berufstätigkeit nach längerer Arbeitslosigkeit.
Dies führe zu einigen interessanten Spekulationen, fanden die Autoren. »Bedenkt man, dass man für einen ›Umzug‹ in die Welt von Second Life kaum mehr als einen Computer und eine Internetverbindung benötigt (und natürlich Freizeit, die Arbeitslose im Überfluss haben), dann legen die vergleichbaren Wirkungen hier nahe, dass manche Menschen stärker motiviert sind, sich in ein virtuelles Leben zu flüchten, anstatt zu versuchen, ihr reales Leben zu ändern.«
Die Implikationen der Studie sind doppeldeutig. Einerseits unterstreicht sie die Tatsache, dass sich für Nutzer virtueller Umgebungen die dort verbrachte Zeit meist in emotionaler Befriedigung auszahlt. Andererseits zeigt sie uns die Grenzen des realen Lebens als Quelle von Befriedigung im Gegensatz zu simulierten Umgebungen auf – und führt zu der Frage, ob wir die wirkliche Welt verbessern, gegen die Versuchungen der virtuellen vorgehen oder am besten beides versuchen sollten.
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Das Konzept des »Spielens« ist in unserem digital vermittelten Leben ein bedeutendes Sinnbild, das unter anderem für die tief empfundene Freude steht, den ungelösten Problemen des Lebens in Bereiche zu entfliehen, die Gewissheit und Lösungen bieten. Wenn ich mir viele der erfolgreichsten Online-Dienste von YouTube
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