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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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dabei einen in den Strom stellt.
     
    Merke: Wenn man jemanden ohne böse Absicht getötet hat, ziehen sich die dem Cannabiskonsum und indischen Heilslehren Verschriebenen im Bekanntenkreis von einem zurück, weil man in ihren Augen eine karmisch zweifelhafte Figur ist.
     
    Wenn man von einem deutschen Fernsehsender eingeladen wird, in einer Talkshow über das Unglück mit dem Seifensieder zu sprechen, weiß man lange nicht, wie man sich entscheiden soll. Oft ist man kurz davor abzusagen, oft geht man schon zum Telefon, um die Einladung anzunehmen.
    Hat man Kopfhörer auf und hört gute Musik, stellt man sich vor, wie erfolgreich die Sendung würde. Alle haben Mitleid und finden einen attraktiv und interessant. Mit schmachtendemBlick schauen einen die Frauen im Studio an. Zeitungen drucken Fotos und schreiben von dem faszinierenden jungen Österreicher, der in so kurzer Zeit Deutschland erobert hat. Zu Hause wird man auf der Straße erkannt und freundlich angesprochen. In Lokalen bekommt man immer einen Tisch und Freibier. Die Wirte sind stolz, dass man ihr Gast ist, und man wird um Autogramme gebeten. Jobs bei Film und Fernsehen winken. Man tritt zusammen mit Philipp Boa bei
Rock am Ring
auf und darf mit anderen Berühmtheiten ein Duett singen. Alle lieben einen, man wird ein Superstar. Mutter lässt man zu einem Konzert einfliegen und trifft sie in der Suite des Nobelhotels, die man ihr bezahlt. Sie steht mit offenem Mund da.
    Bald nachdem man die Kopfhörer abgesetzt hat, beginnt die Euphorie zu schwinden. Man zweifelt. In solchen Fällen ist es eine weise Entscheidung, eine Weile nicht mehr ans Telefon zu gehen und sich so um die Absage zu drücken.
     
    Wenn man den Seifensieder in die Ewigen Jagdgründe geschickt hat, verzichtet Tante Kathi darauf, ihren Großneffen weiteren wichtigen Persönlichkeiten ans Herz zu legen. Dem Seifensieder zürnt sie posthum, da er einem in seinem Testament nur 80   000   Schilling vermacht hat.
    –  Aber Tante, er wurde von Charlie umgebracht, wendet Mutter ein.
    –  Das konnte er ja vorher nicht wissen! Als er seinen Letzten Willen abgefasst hat, lebte er noch!
    Allen Argumenten bleibt sie unzugänglich. Ihre Erbitterung darüber, dass der Seifensieder den Wert ihres Großneffen so niedrig geschätzt hat, geht so weit, dass sie die Witwe des Seifensieders nicht mehr einlädt, ja bald nicht einmal mehr grüßt, wenn sie einander auf der Straße begegnen. Onkel Hans nennt sie eine alttestamentarische Furie, und als man ihn ratlos anblickt, erklärt er, das sei zweideutig gemeint.
     
    Vom Besuch des Begräbnisses wird man von Tante Kathi dispensiert. Wegen der Erbschaft zerbricht man sich den Kopf. Einerseits ist es irgendwie schmutziges Geld, wie es in Gaunerfilmen heißt, andererseits kommt es gelegen.
    Beim Anwalt unterschreibt man, dass man es annimmt. Doch man schläft eine Weile mit Licht, weil man Angst vor dem Geist des Seifensieders hat, der kommen könnte, um sich zu rächen. Einschlafen kann man schwer, weil man wegen dieses blöden Hebels, der ein Knopf war, ein schlechtes Gewissen hat. Nachts schreckt man hoch und blickt in alle Ecken, ob der Seifensieder dasteht und einen böse anschielt.

 
    Wenn man einen Brief bekommt, dessen neutraler Umschlag vermuten lässt, es handle sich nicht um eine Rechnung, ist man verwundert.
    Man öffnet das Kuvert und ist noch erstaunter. Beim Absender handelt es sich um jenes Ehepaar, dessen Inserat im Kontaktmagazin man vor geraumer Zeit im Zustand beängstigender Geilheit beantwortet hat. Zuweilen hat man daran gedacht. Meist gehofft, nie von diesen Leuten zu hören. Und jetzt ist doch Antwort gekommen.
    Man wird darüber informiert, dass man von der
»heißen« Eheschlampe plus Mann ♥lich eingeladen
ist,
einen unverbindlichen »Abend« zwecks Kennenlernen
in ihrer
»Wohnung«
zu verbringen. Bei
gegenseitiger Sympathie
sei bereits an diesem Abend
nichts ausgeschlossen
. Der Mann sehe
»bloß« zu
.
    Na wumm, denkt man.
    Während man überlegt, was man tun soll, läutet das Telefon. In einem Anfall absurder Paranoia fürchtet man, es seien die neuen Korrespondenzpartner. Aber es ist nicht die Eheschlampe, sondern Tante Kathi, die einen mit Vorwürfen überschüttet. Dass man offenkundig an der Universität nichts zustande bringe, sei nicht das Schlimmste. Man kümmere sich gar nicht mehr um die liebe Mutti und die Tankels, bringe keine Blumen.
     
    Merke: Wenn man sich von allen Seiten mehr und mehr unter Druck

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