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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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vorher sagen können, denkt man.
    – Fahren wir.
    Ist man ein Sitzer, schweigt man, wenn man im Laden zuwenig Wechselgeld herausbekommt. ◉ jede Woche
    Ist man ein Sitzer, wird man auf dem Gemüsemarkt begaunert und sagt nichts. ◉ selten
    Ist man ein Sitzer, bekommt man vom Fleischer alte Wurst verkauft und sagt nichts.  ◉ oft
    Ist man ein Sitzer, wird man vom Taxilenker spazieren gefahren und sagt nichts.  ◉ jede Woche
    Ist man ein Sitzer, bekommt man im Gasthaus zähes Fleisch und alte Semmeln. Und sagt nichts.  ◉ jeden Tag
     
    Entgegen einer unter Älteren verbreiteten Meinung sind verrufene Lokale wie das Priamus der Entwicklung eines jungen Menschen äußerst zuträglich. Das Priamus ist ein solches, in dem sich Zuhälter, Huren, Künstler und Studenten treffen und allerhand Herrlichkeiten geschehen. Zuweilen wird jemand mit Waffengewalt bedroht, manchmal setzt es eine Schlägerei, die Polizei kommt jeden zweiten Tag. Ein junger Mensch, der nicht Anwalt oder Buchhalter zu werden gedenkt, sollte sich wöchentlich zumindest dreimal in derartigen Räumlichkeiten einfinden.
    Wenn man Zeuge derartiger Vorfälle wird, hat man eine Heidenangst, sitzt schlotternd in der Ecke und hofft, in nichts hineingezogen zu werden. Wenn alles vorbei ist, hört man sich beiläufig um, worum es ging, und am nächsten Tag kann man vor Bekannten, die sich nicht in so gefährliche Lokale wagen, mit dem Abenteuer aufschneiden.
     
    An diesem Weihnachtsabend ist das Priamus fast leer. Das sei normal, sagt Fritz, der Besitzer. Er halte trotzdem geöffnet. Er sei stolz darauf, seit sieben Jahren keinen einzigen Tag zugesperrt zu haben. Die drohende Verwaltungsstrafe nehme er in Kauf.
    Wenn man an der gegenüberliegenden Seite der Bar eine Hure entdeckt, mit der man schon einmal geredet hat, tut man so, als kenne man sie nicht. Zwar ist man auf dieses Gespräch heute noch stolz. Wer kann sich schon eines vertrauten Umgangs mit Angehörigen des sogenannten Milieus rühmen? Aber an diesem Abend hat man keine Lust, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Solange man über den Dingen stand, war es lustig, diese sogenannte Halbwelt zu streifen. Nun, da man nicht nur die Einsamkeit als quälend empfindet, sondern sich diesen Leuten hier schon näher fühlt als den Verwandten und Freunden von früher, will man mit der einsamen Hure nichts mehr zu tun haben.
    In einer solchen Lage sollte man sich Kakao bestellen und die Sportseiten lesen.
     
    Merke: Wenn man das Gefühl hat abzurutschen, ist es gut, wenn zu Hause eine Katze wartet.

 
    Da die Erlebnisse der vergangenen Tage Eindruck gemacht haben, reißt man sich am Riemen. Die Woche vor Silvester verbringt man mit Büchern. Man nimmt sich vor, zu den nächsten Prüfungen anzutreten. Man hat das Gefühl, im Morast steckengeblieben zu sein und immer tiefer einzusinken. Das will man nicht. Man will zu den Guten gehören, man will im Licht leben. Man will nicht, dass man ins Priamus gehört. Dort will man als sensationslüsterner Tourist sitzen, dann nach Hause gehen und froh sein, dass man andere Perspektiven hat.
    Zwei Tage vor Silvester erlahmt der Eifer. Immer öfter legt man den Wälzer, den man durcharbeitet, zur Seite, greift nach
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und futtert Burger, Pommes Frites, Erdnussbutterbrote, Bonbons, Waffeln, Bierschinken, Chips und Schokolade. Kunstgeschichte findet man langweilig. Überdies weiß man mittlerweile, dass nicht jeder Absolvent der kunstgeschichtlichen Fakultät Professor oder Museumsdirektor wird. Und so fragt man sich, ob es nicht an der Zeit wäre, die Notbremse zu ziehen.
    Manche Notbremsen sind gut versteckt.
     
    Wenn man am Silvestermorgen mit einer gewissen Anspannung erwacht, liegt das daran, dass man am Abend von der Eheschlampe und ihrem Mann erwartet wird. Der intrigante Mirko hat diesen Termin vereinbart und besteht darauf, dass man hingeht. Man hat Angst. Viel lieber würde man mit Mirko im Vereinslokal der Sozialistischen Studenten feiern.
    In solchen Situationen ist man gut beraten, wenn man sich aufs Bett legt und masturbiert. Dadurch entledigt man sich eines gewissen Drucks. Man wird die Eheschlampe enttäuschen. Man ruft Mirko an, um ihm mit fester Stimme zu erklären, man werde dieses Pärchen keinesfalls besuchen, sondern ihn ins Verbandslokal begleiten.
    – Einverstanden, sagt Mirko. Kurz vor acht hole ich dich ab.
     
    Merke: Wenn man sich durchsetzt, ist man mit sich zufrieden und fühlt inneren Frieden.
     
    Wenn man um fünf zu Hause

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