Wie man leben soll: Roman (German Edition)
ein Glas Sekt trinkt, füttert man um halb sechs Ascuas und trinkt noch ein Glas. Da man sich um sechs ein weiteres einschenkt und das nächste zehn Minuten später folgt, begrüßt man Mirko, der im Taxi wartet, mit ungewohnter Lockerheit.
Er lächelt einem zu, und ehe man sich versieht, steckt man im Schwitzkasten fest.
– Jetzt zu der Adresse!, ruft Mirko.
Man glaubt an einen Witz. Eine Weile lacht man und droht zugleich, aber je länger die Fahrt dauert, desto klarer wird einem, dass Mirko es ernst meint und es aus dem Schraubstock seiner Arme kein Entrinnen gibt. Man verlegt sich aufs Betteln. Den Fahrer hört man lachen. Mirko entgegnet, man werde nun diese Leute besuchen, das schade einem nicht.
Merke: Wenn man von einem unberechenbaren und physisch überlegenen Freund aus einem Taxi gezerrt wird, sollte man den Widerstand aufs Rhetorische beschränken.
Am Kragen schleppt Mirko einen die Treppe hinauf. Er kontrolliert die Türschilder. Im zweiten Stock bleibt er stehen. Er läutet, und erst, als Schritte zu hören sind, lässt er einen los und hechtetmit einem einzigen Satz über die Brüstung des Treppengeländers in den Halbstock hinunter.
Wenn man Zeuge wird, wie behände sich schlanke Menschen zu bewegen vermögen, ist man neidisch.
– Du musst Rubens sein, sagt die Eheschlampe und streckt die Hand aus.
Trifft man zum ersten Mal ein Ehepaar, das in einem Pornomagazin Inserate aufgibt, ist man überrascht zu sehen, dass diese Leute weder übergewichtig noch der Hygiene abhold sind. Schönheiten sind sie keine. Der Hals des Mannes und seine Unterarme sind übersät mit schwarzen Muttermalen, doch er sieht nicht übel aus. Normale Leute. Als abstoßend kann man sie nicht bezeichnen. Mit Vielem hätte man gerechnet, damit nicht.
Der Mann, der sich als Leo vorstellt, schüttelt einem die Hand. Dabei blickt er einem in die Augen. Er zeigt auf eine Flasche Prosecco. Man nickt.
Die Eheschlampe heißt Hilde. Auf ihrer Stirn, knapp über dem rechten Auge, prangt ein großer Pigmentfleck. Hilde ist etwa so alt wie ihr Mann, Anfang vierzig. Sie duftet nach Parfum. Weder ist sie aufreizend gekleidet noch übertrieben geschminkt. Dafür ist man dankbar.
In den Sekunden vor der Tür hatte man sich vorgenommen, sich die beiden anzusehen und gleich zu verschwinden. Doch vermutlich wartet Mirko unten und passt auf, dass man nicht Reißaus nimmt. Und zu allem Überfluss merkt man nun, dass man mit Hilde tatsächlich schlafen möchte.
Leo erkundigt sich, was man beruflich macht. Aha, Student, sagt er, Hilde mag Studenten. Er wirft seiner Frau einen Blick zu und lächelt.
Weil man nicht weiß, was man auf diese verheißungsvolle Eröffnung erwidern soll, fragt man mit klopfendem Herz nachden Berufen der Gastgeber. Leo sagt, er habe ein Ledergeschäft. Seine Frau mache die Buchhaltung.
– Aha, sagt man.
Er scheint ein nervöser Typ zu sein, ständig dreht er etwas in den Händen. Immer ist er in Bewegung.
– Hast du etwas dagegen, wenn ich mir etwas Bequemeres anziehe?, fragt er. Und dann Musik auflege?
– Nur zu.
Er steht auf und geht nach nebenan. Hilde rückt näher. Sie schenkt Prosecco nach.
– Hast du schon einmal auf eine Anzeige geantwortet?
Man verneint. Sie nickt, als habe sie das erwartet. Man merkt, dass man von Kopf bis Fuß gemustert wird. Sie blickt freundlich. Wie eine Eheschlampe sieht sie nicht aus.
In einem Kimono kehrt Leo zurück. Auch seine Beine und seine Brust sind voll mit Muttermalen. Er und seine Frau wechseln Blicke. Er räuspert sich und sagt:
– Ach, lassen wir das mit der Musik.
Er geht in ein anderes Nebenzimmer. Mit vier Videokassetten in der Hand kommt er wieder.
– Worauf stehst du besonders?, fragt er.
Allgemeine Unsicherheit führt zu Albträumen, und so kommt es, dass man sich unter einem Vorwand einen Zweitschlüssel zu Tante Ernestines Haus besorgt, weil man oft von ihr träumt und fürchtet, sie rufe telepathisch um Hilfe. Mitten in der Nacht setzt man sich ins Taxi, fährt zum Stadtrand und kontrolliert, ob sie noch atmet. Die Vorstellung, sie könnte sterben, verursacht einem geradezu Brechreiz.
Mit zunehmender Panik studiert man die Stellenanzeigen. Man krault Ascuas und verzweifelt an der Tatsache, dass man keinen Job findet. In eine Versicherung will man nicht gehen. Als Tankwart zu arbeiten würde einem auch nicht einfallen. Angebote wie NEBENJOB 100 % VON ZU HAUSE AUS! klingen interessant. Wenn man anruft, erfährt man, dass
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