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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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sprechen, reizt sie. Gern würde sie ihren Karlis und Hubsis auf den Straßen einen Gruß bestellen. Grüße bestellen, das mag Dieter allerdings nicht so sehr. Er sagt, er sei eine Talksendung, keine Telefonvermittlung und kein Wunschkonzert.
    Insgeheim hält man Dieter Moor für das Paradebeispiel des Intellektuellen. Man möchte mit ihm über wichtige Themen reden.
     
    Wenn Verantwortlichen in Fernsehen oder Radio ausnahmsweise etwas Außergewöhnliches gelingt, spricht sich das schnell herum. Bald sitzen am Samstag zehn oder fünfzehn Leute in der Küche. Im Recorder nebenan steckt eine aufnahmebereite Kassette, da niemand die Minuten, in denen er mit Moor und zu Österreich redet, ins Nichts entschwinden lassen will.
    Die Sendung dauert zwei Stunden, und alle reißen sich in dieser Zeit um das Telefon.
    Als Erster hört Walter statt des Besetztzeichens eine Stimme, die ihm mitteilt, er werde als Nächster durchgestellt.
    – Ich bin drin, ich bin drin!, schreit er.
    Auf seinem Gesicht spiegelt sich Aufregung. Er lauscht. Seine Ohren werden rot. Er schluckt, steckt sich eine Zigarette an, nimmt einen Schluck Rotwein, einen Teil schüttet er sich übers Kinn. Mit dem Hemdsärmel wischt er sich ab, er stöhnt.
    Um Rückkoppelungen zu vermeiden, geht man mit den anderen ins Nebenzimmer und schaltet den Recorder ein. Es wird gejohlt. Die Versammelten stimmen aufmunternde Gesänge an wie auf dem Fußballplatz. Dann fliegt der aktuelle Anrufer raus, und alle im Raum verstummen.
    –
Talk Radio
, hallo.
    – Ich bin’s, der Walter.
    Schnaufen.
    – Walter, was hast du uns zu sagen?
    – Dieter, bist du nicht auch der Ansicht, dass die Linke sich neu formieren muss? Überall kriechen die Rechten aus den Löchern. Ich frage: Gibt es keine Strategien in den klugen Köpfen? Sind wir alle   …
    Man hört Scheppern.
    – Scheiße! Mistvieh! Das war die Katze!
    Klick.
    Enttäuschung im Zimmer. Buhrufe erschallen. Um Ascuas besorgt, eilt man in die Küche.
    In der Ecke sitzt Walter wie ein Häufchen Elend. Ascuas hat mit dem Tischtuch gespielt, ein Glas ist ins Wanken geraten. Reflexartig wollte Walter eingreifen. Dabei hat er den Wasserkrug umgeworfen, und der ist am Boden zerschellt.
    Inge macht sich ans Aufräumen. Walter schimpft über den dreisten Dieter Moor. Man tröstet ihn. Dann will man zum Telefon. Das ist bereits belegt. Laura möchte mit Dieter Moor über die Liebe sprechen.
    Sie kommt nicht durch. Nach fünfzehn Minuten ist der turnusmäßige Wechsel fällig. Inge darf es versuchen. Sie hat mehr Glück, grüßt Helmut, der sie vergangene Woche besucht hat und nun schon wieder irgendwo zwischen München und Belgrad ist, und legt kurzerhand auf. Dieter Moor ist sauer. Gelächter, Applaus, alles beginnt, schneller zu trinken.
    Man lehnt sich zurück und stellt sich vor, wie man mit Dieter Moor von gleich zu gleich spricht. Man ist in seine Sendung eingeladen worden, weil man mehr von Musik versteht als alle anderen. Man spricht über Rock und Pop, und die Anrufer dürfen Fragen stellen. Dieter Moor empfindet es als Ehre, dass man seiner Einladung gefolgt ist. Nach der Sendung will er mit einem etwas trinken gehen. Etwas gelangweilt sagt man ja. Man begleitet ihn zu ihm nach Hause, wo schon einige andere bekannte und interessante Persönlichkeiten warten. Man schüttelt allen die Hand   …
    Walter bittet, man solle unten im Gasthaus noch zwei Doppelliter Wein holen. Man hat keine Lust. Um nicht streiten zu müssen, steigt man in die Slipper und macht sich auf den Weg.
     
    Merke: Wenn man nach auch nur kurzer Abwesenheit zu einer Party zurückkehrt, hat man das Gefühl, Entscheidendes versäumt zu haben.

 
    Da Mirkos vermögender Vater die Eskapaden seines Sohnes satt hat, stellt er die Zahlungen ein. Kurzerhand entscheidet sich Mirko, einen Informationsabend für angehende Taxilenker zu besuchen. Allein will er nicht gehen.
    – Was soll ich dort?, jammert man.
    – Was soll ich dort allein?
    – Aber
du
willst doch Taxifahrer werden!
    – Du willst das
auch
, sagt er entschieden.
    Ein sechsundfünfzigprozentiger Trickser ist nicht imstande, einem Freund etwas abzuschlagen, und so begleitet man Mirko in Gottes Namen zum Informationsabend. Unter der Bank liest man ein Comicheft, während sich Mirko Notizen macht. Gegen Ende wird ein Papier durchgereicht. Man gibt es weiter. Mirko füllt die Felder aus. Erst nachher, beim Bier im Priamus, ist er so freundlich zu gestehen, dass er den Kurs nicht allein besuchen

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