Wie man leben soll: Roman (German Edition)
einer Wohngemeinschaft, in der es eine Waschmaschine gibt und auch Ascuas erwünscht ist. Dort wohnt man zusammen mit Inge und dem roten Walter.
Er heißt so, weil er eine Nachwuchshoffnung der Jungsozialisten ist. Er wiegt 105 Kilo, trägt Vollbart, hat eine dicke Brille und liebt klassische Musik. Wenn er getrunken hat, hört er elegische Streichkonzerte und ergibt sich seinem Weltschmerz. Nie zuvor ist man einem Mann begegnet, der so nah am Wasser gebaut hat. Tagsüber ist ihm das jedoch nicht anzusehen.
Inge stammt aus Kärnten, studiert Betriebswirtschaftslehre und wiegt 45 Kilo. Sie hat die Angewohnheit, aus körperlichen Eigenheiten allgemeingültige Regeln abzuleiten. Gleich in den ersten Tagen wird man mit dieser deuterischen Besessenheit konfrontiert. Im Badezimmer sieht sie, dass man keine Haare auf der Brust hat. Mit gestrecktem Zeigefinger sagt sie knapp: Herzinfarktgefahr. Bestürzt erkundigt man sich, was sie meint. Sie erklärt, eine haarlose Brust weise auf eine ererbte Herzschwäche hin. Man solle sich jedes Jahr einer Vorsorgeuntersuchung unterziehen.
Allgemein herrschen in der Wohnung atemraubende Zustände.
Da alle Bewohner reife und gewissenhafte Persönlichkeitensind, wird ein fester Putzplan allseits abgelehnt. Da es also keinen festen Putzplan gibt, sieht es in der Wohnung aus wie im Heim von Leuten, die von der Fürsorge betreut werden sollten. Walter erlegt sich bei nächtlichen Kochorgien in der Gemeinschaftsküche keinerlei Hemmungen auf, und wenn man morgens augenreibend in die Küche schlurft, trifft einen beinahe der Schlag, weil er zu traurig war, um aufzuräumen.
Man putzt nicht hinter ihm her, sondern lässt alles stehen. Inge fällt es auch nicht ein, für Walter einen Finger zu rühren. Da sich Walter aber höchstens einmal die Woche dazu aufraffen kann, die Töpfe mit den alten Nudeln und mit der eingetrockneten Spaghettisauce auszuschrubben, gleicht die Küche zumeist einem Feuchtbiotop, in dem fette Fleischfliegen summen und ungefähr zehn Millionen Mücken das Sonnenlicht verdunkeln.
Außerdem weigert sich Walter, die Dusche zu putzen, weil er sie so gut wie nie benütze. Und da sagt er die Wahrheit.
Auch das Zusammenleben mit Inge ist nicht immer einfach. Von ihren Phantasien in Bezug auf körperliche Zeichen abgesehen, ist sie eine einnehmende Person, die leider unter sexueller Labilität leidet und eine Schwäche für stark behaarte Fernfahrer hat. Wenn die Küche morgens ausnahmsweise in einem betretbaren Zustand ist, muss man gewärtig sein, einen solchen beim Frühstück anzutreffen. Und der Anblick eines felltragenden Fernfahrers in Unterhosen, der, obwohl aus der Steiermark oder Tirol oder Kärnten stammend, nur auf rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache zurückgreifen kann, ist gerade am Morgen nicht jedermanns Sache.
Im Vertrauen teilt Inge einem mit, sie liebe es, mit solchen Männern zu schlafen, sie sei geradezu süchtig danach, und sie beschwere sich auch nicht darüber, dass Walter qualme oder dass man den ganzen Tag über laute Musik spiele und sowohl am Klo als auch unter der Dusche wie auch in der Küche
singe
. Dazu malt sie Gänsefüßchen in die Luft.
Merke: Wenn Mitbewohner Katzenfreunde sind, macht dies einiges wett.
Stillschweigend haben Walter und Inge alle Pflichten gegenüber der Katze mitübernommen. Sie kaufen Futter und Streu, bringen Leckerli, putzen das Kistchen, fahren mit dem verwöhnten Vieh zum Arzt, besorgen Wurmtabletten, streicheln es und geben ihm alle Rechte. Ascuas zerkratzt Inges Sofa. Ascuas pisst in Inges Bett. Ascuas kackt in Walters Schuhe. Ascuas zerdeppert Inges Lieblingsvase. Nie fällt ein scharfes Wort.
Jemand, der gut zu Tieren ist, kann nicht restlos schlecht sein. Aus diesem Grund sollte man über Macken solcher Menschen, solange sie sich im Rahmen halten, hinwegsehen.
Die Lieblingsradiosendung der Bewohner ist
Talk Radio
, die jeden Samstag um Mitternacht läuft. Moderiert wird sie von Dieter Moor, den man wegen seiner Klugheit sehr schätzt. Die Sendung ist unvergleichlich. Man kann anrufen und mit dem Moderator reden, worüber man will, sofern er darauf neugierig ist. Passt ihm der Anrufer nicht, legt er auf.
Allein Walter hat gegenüber Dieter Moor gewisse Vorbehalte. Er hält ihn für politisch naiv. Aber auch er unternimmt am Samstag alles, um mit ihm zu reden. Inge findet Dieter zwar nicht so verlockend wie ihre Fernfahrer, doch der Gedanke, live im Radio zu Österreich zu
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