Wie man mit einem Lachs verreist
auch einen echten Espresso bestellen, aber er wird einem aufs Zimmer gebracht, wenn er praktisch schon eine Eisschicht hat. Um solches Mißgeschick zu vermeiden, bestelle man sich ein Continental Breakfast und freue sich auf den Genuß eines ans Bett gebrachten Frühstücks.
Das Continental Breakfast besteht aus zwei Brötchen, einem Croissant, einem Orangensaft in homöopathischen Dosen,
einem Butterröllchen, drei Schälchen mit Honig, Heidelbeer-und Aprikosenmarmelade, einer Kanne kalt gewordener Milch, einer Rechnung über hundertfünfzig Mark und einer
vermaledeiten Kaffeekanne mit Kaffee-Gesöff. Die von
normalen Leuten verwendeten Kannen - oder auch die guten alten Espressokannen, aus denen man sich das duftende
Getränk direkt in die Tasse gießt - erlauben den Austritt der Flüssigkeit durch eine feine schnabelförmige Tülle, während der Deckel irgendeine Sicherheitsvorrichtung hat, die ihn
geschlossen hält. Das Gesöff, das man im Grand Hotel und im Schlafwagen kriegt, kommt in einer Kanne mit breitem
Schnabel - breit wie der eines aus der Art geschlagenen Pelikans -und extrem beweglichem Deckel, der extra so
gestaltet ist, daß er, getrieben von einem ununterdrückbaren Horror vacui, automatisch herunterfällt, wenn die Kanne geneigt wird. Dank dieser beiden Vorrichtungen kann die vermaledeite Kaffeekanne sofort ihren halben Inhalt über die Croissants und Marmeladen ergießen und anschließend, wenn der Deckel
herunterfällt, den Rest auf die Tischdecke ausschütten. In den Schlafwagen sind diese Kannen von mittelmäßiger Qualität, da die Selbstbewegung des Wagens dem Verschütten des Kaffees
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zugute kommt, in den Hotels müssen sie aus Porzellan sein, damit der Deckel schön langsam und stetig, aber
verhängnisvoll-unaufhaltsam heruntergleitet.
Über Herkunft und Zweck der vermaledeiten Kaffeekanne gibt es zwei Denkschulen. Die Freiburger Schule lehrt, das Gerät erlaube den Hotels zu beweisen, daß die Tischdecken, die man abends vorfindet, seit dem Morgen gewechselt worden sind.
Der Schule von Bratislawa zufolge ist der Zweck ein
moralischer (vgl. Max Weber, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“): Die vermaledeite Kaffeekanne halte davon ab, morgens lange im Bett zu verweilen, da es sehr unangenehm sei, zwischen kaffeegetränkten Laken liegend ein schon in Kaffee getunktes Hörnchen zu essen.
Die vermaledeite Kaffeekanne ist nicht im Handel erhältlich. Sie wird exklusiv für die großen Hotelketten und die
Schlafwagengesellschaften hergestellt. In den Gefängnissen wird das Gesöff in Blechnäpfen serviert, da ganz mit Kaffee durchtränkte Laken sich besser der Dunkelheit assimilieren, wenn sie zu Ausbruchszwecken aneinandergeknotet werden.
Die Freiburger Schule rät, den Kellner zu bitten, das Frühstück auf den Nachttisch zu stellen und nicht aufs Bett. Die Schule von Bratislawa hält dagegen, so könne man zwar vermeiden, daß der Kaffee sich über die Laken ergieße, nicht aber, daß er beim Austritt aus der Kanne den Pyjama beflecke (den das Hotel nicht täglich zu wechseln bereit ist); auf jeden Fall aber, Pyjama her oder hin, fließe einem der Kaffee, wenn man ihn im Sitzen einzunehmen versuche, direkt auf den unteren Teil des Bauches und in den Schoß, um Verbrennungen dort zu
verursachen, wo sie am wenigsten ratsam sind. Diesen
Einwand beantwortet die Freiburger Schule mit einem
Achselzucken, und das ist offen gesagt keine Art.
(1988)
Wie man seine Zeit nutzt
Wenn ich meinen Zahnarzt anrufe, um einen Termin zu
vereinbaren, und er sagt mir, er habe die ganze folgende
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Woche keine Stunde mehr frei, glaube ich ihm. Er ist ein seriöser Profi. Aber wenn mich jemand zu einer Tagung einlädt, zu einer Diskussion, zur Mitarbeit an einem Sammelband, zur Teilnahme an einer Jury, und ich sage, daß ich keine Zeit habe, glaubt er mir nicht. »Na, na, Herr Professor«, sagt er, »einer wie Sie wird die Zeit schon finden!« Offensichtlich werden wir Geisteswissenschaftler nicht für seriöse Profis gehalten, wir sind Tagediebe.
Ich habe eine Berechnung gemacht. Kollegen, die ähnliche Berufe ausüben, sind eingeladen, dem Beispiel zu folgen und mir dann zu sagen, ob es stimmt. Ein normales Jahr ohne Schalttag hat 8760 Stunden. Acht Stunden Schlaf, ein
Stündchen zum Wachwerden und Aufstehen, ein halbes
Stündchen zum Auskleiden und das Mineralwasser auf den
Nachttisch stellen, nicht mehr als zwei Stunden zum Essen, macht 4170
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