Wie man mit einem Lachs verreist
auf eigene Gefahr (und nicht nur auf unsere). Zum einen die Leute, die nirgendwo hingehen können, ohne weiter mit Freunden und Angehörigen, die sie eben verlassen haben, über dies und das zu schwatzen. Es ist schwierig, ihnen zu sagen, warum sie das nicht tun sollten: Wenn sie nicht imstande sind, sich dem Drang zur Interaktion zu entziehen und ihre Momente der Einsamkeit zu genießen, sich für das zu interessieren, was sie gerade tun, das Fernsein auszukosten, nachdem sie die Nähe gekostet haben, wenn sie nicht vermeiden können, ihre Leere zu zeigen, sondern sie sich sogar noch auf ihre Fahnen schreiben, so ist das ein Fall für den Psychologen. Sie sind uns lästig, aber wir müssen Verständnis für ihre schreckliche innere Ödnis haben, müssen dankbar sein, daß wir besser dran sind, und ihnen verzeihen (doch hüten wir uns, der luziferischen Freude anheimzufallen, nicht so zu sein wie jene da, das wäre
Hochmut und Mangel an Nächstenliebe). Anerkennen wir sie als unsere leidenden Nächsten und leihen wir ihnen auch noch das andere Ohr.
Die letzte Kategorie (zu der, auf der untersten Stufe der sozialen Leiter, auch die Käufer von falschen Mobiltelefonen gehören) besteht aus Leuten, die öffentlich zeigen wollen, wie begehrt sie sind, besonders für komplexe Beratungen in
geschäftlichen Dingen: Die Gespräche, die wir in Flughäfen, Restaurants oder Zügen mit anhören müssen, betreffen stets Geldtransaktionen, nicht eingetroffene Lieferungen von
Metallprofilen, Zahlungsmahnungen über eine Partie Krawatten und andere Dinge, die in den Vorstellungen des Sprechers sehr nach Rockefeiler klingen.
Nun ist die Trennung der Klassen ein grausamer Mechanismus, der bewirkt, daß der Neureiche, selbst wenn er enorme
Summen verdient, einem atavistischen proletarischen Stigma zufolge nicht mit dem Fischbesteck umgehen kann, das Äffchen ins Rückfenster des Ferrari hängt, das Christophorus-Bildchen
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ans Armaturenbrett des Privatjets klebt oder »Manádschment«
sagt; und so wird er nicht zur Herzogin von Guermantes
eingeladen (und fragt sich verzweifelt, warum nicht, wo er doch eine so lange Yacht hat, daß sie praktisch eine Brücke von Küste zu Küste ist).
Diese Leute wissen nicht, daß Rockefeller kein Mobiltelefon braucht, da er ein so großes und effizientes Sekretariat hat, daß äußerstenfalls, wenn wirklich sein Großvater im Sterben liegt, der Chauffeur kommt und ihm etwas ins Ohr flüstert. Der wahrhaft Mächtige ist der, der nicht gezwungen ist, jeden Anruf zu beantworten, im Gegenteil, er läßt sich - wie man so sagt -
verleugnen. Auch auf der unteren Ebene des Managements
sind die beiden Erfolgssymbole der Schlüssel zur Privattoilette und eine Sekretärin, die sagt: »Der Herr Direktor ist nicht im Hause.«
Wer also das Mobiltelefon als Machtsymbol vorzeigt, erklärt damit in Wirklichkeit allen seine verzweifelte Lage als Subalterner, der gezwungen ist, in Habachtstellung zu gehen, auch wenn er gerade einen Beischlaf vollzieht, wann immer ihn der Geschäftsführer anruft, der Tag und Nacht hinter seinen Schuldnern her sein muß, um überleben zu können, der von der Bank sogar noch während der Erstkommunion seiner
Tochter wegen eines ungedeckten Schecks verfolgt wird. Aber die Tatsache, daß er sein Mobiltelefon so prahlerisch benutzt, ist der Beweis dafür, daß er all diese Dinge nicht weiß, und somit die letzte Bestätigung seiner unwiderruflichen sozialen Marginalisierung.
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II Wahre Geschichten
(1991)
Vorbemerkung
Dieser Teil enthält Geschichten, die sich zwischen Science-fiction (Vorwegnahme der Zukunft) und Past-fiction
(Rekonstruktion der Vergangenheit) bewegen. Da es
charakteristisch für die Science-fiction ist (wenn sie nicht über bug-eyed monsters phantasiert, sondern über soziale
Erscheinungen), daß sie durch Wahrwerden altert, haben sich einige Ereignisse und Situationen, die meine Geschichten als delirante Zukunftsmusik präsentieren, inzwischen auf delirante Weise bewahrheitet. Ich gebärde mich nicht als Prophet. Es ist die Historie, die manchmal ziemlich durchschaubar ist, oder vielmehr, durchschaubar sind wir Menschen, die oft nicht widerstehen können und tun, was die Satire in Kenntnis unserer Durchschaubarkeit mühelos vorwegnehmen konnte. Die zwei letzten Texte sind Wissenschaftsparodien aus dem Projekt jener »Kakopädie«, die ich seit Anfang der achtziger Jahre zusammen mit einigen Freunden an der Universität Bologna
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