Wie man seine durchgeknallte Familie überlebt - Rick ; Bd.1
Eindeutig. Sie krochen langsam unter seinem Hemdkragen hervor und den Hals hinauf. Nicht mehr lange und sein Gesicht wäre davon übersät. Pa war voll im Stress. Und supernervös noch dazu.
Der Abend war gerettet. Wenn Pa erst einmal glühte, dann blieb das die nächsten Stunden auch so.
Mal sehen, was seine Trulla-Linda dazu sagt, wenn er ihr nachher mit Feuermelderbirne die Tür öffnet, dachte ich zufrieden.
Falls sie und ihr Knalltütensohn es überhaupt wagten, hier aufzukreuzen.
Ich grinste und Pa grummelte: »Mary ist nicht zu Hause. Sie hat einen Termin in der Fahrschule.«
Ich machte große Augen. »Fahrschule?«
»Ja, du hast richtig gehört. Einundsechzig Jahre ist sie ohne Führerschein ausgekommen. Und jetzt muss sie auf einmal unbedingt beide haben.«
Er schüttelte den Kopf und schielte dann empört zu Gismo hinüber, der gerade wieder ein zischendes Geräusch von sich gegeben hatte. »Mist, gerade heute. Wenn ich Mary in die Finger kriege …«
»Welche beiden?«, wollte ich wissen.
Pa machte eine wegwerfende Handbewegung und begann, etwas wirklich Komisches aus hellbraunem Papier auszupacken. »Den Führerschein fürs Auto
und
fürs Motorrad. Sie will sich tatsächlich noch auf ihre alten Tage auf so einen Feuerstuhl schwingen.«
Ich vollführte innerlich einen kleinen Freudentanz. Cool! Ich konnte Mary und mich schon vor mir sehen. Sie mit knallrotem Helm und in schwerer Lederkluft auf einer pechschwarzen Maschine und ich hintendrauf. Der absolute Hammer!
Pa hatte unterdessen das komische Zeug vor sich auf das große Holzbrett gelegt und teilte es in kleinere Häufchen auf.
»Was ist das?«
»Eingeweichtes Soja-Granulat. Linda ist doch Vegetarierin und ich möchte heute Abend für alle ein fleischloses Gericht kochen.«
Verdammt, das wurde ja immer besser. Der Kram sah aus wie, na ja, ich soll mich ja nicht immer so ausdrücken, aber
Dünnschiss
trifft es nun mal am besten.
»Wenn sie fertig sind, dann kann man die vegetarischen Bällchen überhaupt nicht mehr von echten Hackfleischbällchen unterscheiden. Nur dass sie viel gesünder sind«, sagte Pa triumphierend.
Langsam, aber sicher wurde er mir unheimlich. Früher hätte Pa so ein Zeug noch nicht einmal mit der Kneifzange angefasst. Und jetzt wollte er es sogar freiwillig essen.
»Warum machst du dann nicht gleich richtige Hackfleischbällchen, wenn es dir so wichtig ist, dass dieses Zeugs genauso aussieht?«
»Linda hat seit fünfzehn Jahren kein Fleisch mehr gegessen. Und ich möchte ganz bestimmt nicht derjenige sein, der ihr welches serviert. Aber deswegen kann das Gericht ja ruhig danach aussehen, oder?«
Ich nickte nachdenklich und sah ihm dabei zu, wie er eine Pfanne auf die Kochplatte stellte und die Bällchen hineinlegte. Auf die Platte daneben kam ein kleiner Topf, in dem Pa ein helles Pulver mit Wasser verrührte.
»Und was wird das?«, wollte ich wissen.
»Das wird die Soße. Damit überschütte ich später die gebratenen Bällchen, damit sie noch mehr Geschmack bekommen. Das gibt den Sojabällchen den letzten Pfiff!«
Pa lächelte selig und ich hatte plötzlich eine Idee. Eine geniale Idee.
»Ich geh in mein Zimmer«, sagte ich.
»Okay«, erwiderte Pa. Sein Gesicht glühte inzwischen in den hellsten Rottönen.
Als ich schon im Türrahmen stand, rief er mir hinterher: »Rick, ich wollte dir noch sagen, dass ich sehr froh bin, dass unser kleines Gespräch von heute Morgen etwas bewirkt hat und du mir die Sache mit Linda nicht mehr übel nimmst. Danke.«
Mein lieber Vater, wenn du dich da mal nicht gewaltig irrst!, dachte ich und verzog mich in mein Zimmer. Dort nahm ich mein Sparschwein von der Kommode und stocherte mit meinem Taschenmesser so lange in dem Schlitz herum, bis ein Fünf-Euro-Schein zum Vorschein kam. Rasch stopfte ich das Geld in die Hosentasche und schnappte mir meinen Schlüsselbund.
»Ich lauf noch mal kurz zu Nelly rüber. Hab vergessen, mir die Hausaufgaben aufzuschreiben!«, rief ich in Richtung Küche.
»Rick, was ist mit deinem Brot? Du hattest doch so einen Hunger!«, hörte ich Pa noch rufen.
Aber ich tat so, als hätte ich es nicht mehr gehört, und zog schnell die Tür hinter mir zu. Dann stürmte ich die Treppehinunter, ausnahmsweise ohne die Stufen zu zählen, und rannte auf direktem Weg zum Fleischer an der Ecke.
Kurze Zeit später hatte ich mit einer kleinen weißen Tüte in der Hand Marys Wohnung erreicht.
Ich klingelte, wartete einige Sekunden und schloss dann die Tür
Weitere Kostenlose Bücher