Wie man sie zum Schweigen bringt
Kommst du klar? « Ich setzte mich wieder an den Tisch.
»Das Knastleben nimmt mich ziemlich mit. Die Antidepressiva bringen zwar für kurze Zeit Erleichterung, aber davon lasse ich lieber die Finger.
Kalle besucht mich ziemlich oft, das hält mich über Wasser. Ohne ihn hätte ich die ersten Monate nicht überstanden. Vielleicht gewöhne ich mich allmählich ans Gefängnis, aber ich wünsche mir jeden Tag, ich wäre nach Harris Tod zur Polizei gegangen, statt mich auf Selbstjustiz zu verlegen. Manchmal vertreibe ich mir die Zeit mit allen möglichen Gedankenspielen. Wenn ich Salo töten würde, könnte er dich nicht mehr bedrohen…«
»Das sind kindische Gedanken! «, sagte ich scharf.
»Ich weiß. Hier drinnen sehe ich jeden Tag, dass Gewalt neue Gewalt nach sich zieht. Man müsste taub sein, um das nicht mitzukriegen. Wahrscheinlich bin ich in unserem Trakt der Einzige, der als Kind nicht geschlagen oder vergewaltigt worden ist. Meine Mutter war klug genug, sich scheiden zu lassen und mich mitzunehmen, aber mein Halbbruder hat von unserem Vater Prügel bezogen. Ich habe für meine Tat nicht einmal diese Entschuldigung . « Mikkes Stimme war rau, aber ohne Selbstmitleid. Das Fensterkreuz zeichnete sich dunkel von der blassgrünen Betonwand ab, irgendwo fiel eine Stahltür dumpf ins Schloss. Mikke hatte die Ärmel aufgerollt. An seinen mageren, sehnigen Armen traten die Adern deutlich hervor. Einstichstellen waren nicht zu sehen.
»Du hast mich mal gefragt, ob ich je einen Menschen getötet habe. Ich habe nein gesagt, aber verschwiegen, dass ich mehrmals mein eigenes Leben und sogar das meines ungeborenen Kindes aufs Spiel gesetzt habe. Das war unverzeihlich. Wenn Antti oder Iida bei dem Anschlag gestorben wäre, an meiner Stelle, wegen meiner Arbeit - ich weiß nicht, wie ich damit fertig würde…«
Meine Stimme brach. Es war sinnlos, das Gespräch fortzusetzen, dabei rissen nur die Wunden auf, die in den letzten anderthalb Jahren notdürftig verheilt waren.
»Ich muss los, Väinölä vernehmen. Danke, dass du dich gemeldet hast . «
»Danke, dass du gekommen bist«, erwiderte er. Ich rief den Wärter, der ihn in seine Zelle zurückbringen sollte.
»Halt die Ohren steif«, sagte Mikke zum Abschied noch. Das hätte eigentlich ich ihm wünschen müssen und nicht umgekehrt. Mir ging es doch gut, ich durfte durch das Tor nach draußen gehen, mich ins Auto setzen und mich wie die anderen freien Bürger durch den mittäglichen Stoßverkehr kämpfen. Nach einigen hundert Metern schaltete ich das Radio ein, wo gerade »Du gingst fort« von Ultra Bra lief. Natürlich! Derjenige, der den Soundtrack zu meinem Leben zusammenstellte, hatte einen verdammt boshaften Humor. Ich drehte die Musik lauter, obwohl sie mir Tränen in die Augen trieb, sodass ich das Kennzeichen des vor mir fahrenden Wagens kaum noch erkennen konnte. Als ich die Mannerheimintie erreicht hatte und an einer Ampel halten musste, holte ich das Handy aus der Tasche und schaltete die Freisprechfunktion ein. Dann rief ich Muukkonen an. Ich sagte ihm, ich hätte einen Haftbefehl gegen Väinölä erteilt, mit dem ich schon öfter aneinander geraten sei und den ein anonymer Anrufer als Bombenleger identifiziert habe.
»Ich hab ziemlich viel um die Ohren. Heute schaff ich es nicht mehr, ihn zu vernehmen. Kannst du ihn mir nach Tikkurila schicken? «, fragte Muukkonen. Ich erklärte ihm, meines Wissens sei Väinölä noch nicht festgenommen. Es tat mir gut, über konkrete Einzelheiten des Falls zu sprechen, unter anderem über die Ergebnisse der Sprengstoffexperten. Der Täter hatte eine Kontaktmine simpelster Bauart verwendet, deren Wirkung nicht zuverlässig zu berechnen war. Da nur ein Teil der Ladung explodiert war, vermuteten die Experten, der Bombenbauer sei ein Amateur, ein Stümper, oder er habe sich nicht entscheiden können, wie schwer er sein Opfer verletzen wollte. Dem Strafregister zufolge hatte Väinölä bisher nie etwas mit Sprengstoff zu tun gehabt.
»Sag mir Bescheid, wenn ihr Väinölä habt. Morgen kann ich ihn mir vorknöpfen, von mir aus gleich in der Frühe. Ich hab mich schon gewundert, wieso über Salos Verbindungsleute nichts zu hören ist. Wir waren hinter dem Falschen her. Ich beantrage gleich einen Durchsuchungsbefehl. Wenn wir in Väinöläs Wohnung Sprengstoff finden, umso besser . «
Von Rahnasto sagte ich nichts, denn meine Theorie war hauchdünn. Auf dem Präsidium marschierte ich, an einem Brötchen kauend, zu
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