Wie man sie zum Schweigen bringt
beobachtet zu haben. Damit kam Väinölä keinesfalls als Täter infrage.
SECHS
Das Blau des Frühlingsabends verlockte uns zu einer Radtour in den Zentralpark. Iida winkte den vorbeilaufenden Hunden zu und brachte mich zum ersten Mal an diesem Tag zum Lachen.
»Du hast sicher keine Zeit, am Wochenende nach Inkoo zu fahren und das Boot klarzumachen«, meinte Antti, als wir anhielten, um Leberblümchen zu pflücken.
»Nein. Aber fahrt ihr ruhig ohne mich«, antwortete ich niedergeschlagen. Ich führte nicht einmal mehr Buch über meine Überstunden, weil ich ohnehin keine Gelegenheit haben würde, sie abzufeiern. Es wäre schön gewesen, nach Inkoo zu fahren, das Boot von Anttis Eltern, dessen Pflege in den letzten Jahren vor allem die Familie seiner Schwester und wir übernommen hatten, zu säubern, das Aufbrechen der Eisdecke zu beobachten und den Vogelscharen zu lauschen. Doch ich würde das Wochenende auf dem Präsidium verbringen müssen, so abgespannt ich auch war.
Seit einiger Zeit fühlte ich mich ständig müde, denn ich schlief unruhig und hatte entsetzliche Albträume. Obwohl Stroms Tod bereits anderthalb Jahre zurücklag, sah ich mindestens einmal in der Woche im Traum die Hirnmasse in seinem peinlich aufgeräumten Zimmer und glaubte sogar Blut und Pulverqualm zu riechen. Ich grübelte immer noch darüber nach, ob ich seinen Selbstmord hätte verhindern können. Tommi Laitinens Aussage hatte mir Ström besonders lebhaft ins Gedächtnis gerufen. Ich hatte ihn meistens gehasst, doch jetzt vermisste ich ihn.
Der Herbst vor anderthalb Jahren, als ich aus dem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt war und die Leitung des Gewaltdezernats übernommen hatte, war die schwerste Zeit meines Lebens gewesen. Stroms Tod war nicht das einzige Ereignis, das ich so gut wie möglich zu verdrängen versuchte. Im ersten Winter als Dezernatsleiterin hatte ich härter gearbeitet als je zuvor, und auch das zweite Jahr hatte keine Erleichterung gebracht, obwohl ich in meinen Entscheidungen sicherer geworden war. Es fiel mir immer schwerer, nach Feierabend abzuschalten. Am ehesten gelang es mir beim Segeln und beim Spielen mit Iida. Selbst beim Joggen dachte ich mittlerweile viel zu off über ungelöste Fälle nach.
Iidas Gummistiefel machten schmatzende Geräusche auf der feuchten Waldwiese, auf der bereits das erste Grün ans Licht drängte. Die Leberblümchen leuchteten unwirklich im winterfahlen Wald. Iida durfte einige pflücken, doch die meisten ließen wir stehen, damit sich auch andere daran freuen konnten. Iida entdeckte einen umgestürzten Baumstamm, den sie zum Pferd umfunktionierte. Die Zweige dienten ihr als Zügel. Wir betrachteten ihre Reitübungen, und ab und zu glaubte ich beinahe, ein rotbraunes Pony zu sehen. Ich setzte mich auf einen Baumstumpf, Antti hockte sich vor mir auf den Waldboden, legte den Kopf in meinen Schoß und sagte: »Die erste Auflage haben wir gut hingekriegt. Wie würde wohl die zweite aussehen? «
»Hast du immer noch Lust, es zu probieren? «, fragte ich leichthin, obwohl ich wieder die gewohnte Beklemmung aufkommen fühlte. Ich brachte es einfach nicht fertig, mich für ein zweites Kind zu entscheiden. Würde ich es später bereuen, wenn Iida ein Einzelkind blieb?
Vor dem Einschlafen las ich Iida aus »Pettersson und Findus« vor und lachte zum zweiten Mal an diesem Tag. Im Allgemeinen war Antti bei uns derjenige, der in Trübsinn versank und Abende lang die Wände anstarrte, ein Glas Rotwein in der Hand. In diesem Frühjahr hatte ich ihm oft Gesellschaft geleistet, allerdings meist mit Whisky statt mit Rotwein. Diesmal begnügte ich mich mit Kamillentee, denn am nächsten Morgen würde ich den Fall Ilveskivi ganz neu aufrollen müssen.
Obwohl ich mich schon um elf ins Bett legte, fand ich keinen Schlaf. Antti schlummerte friedlich. Ich betrachtete sein scharfes Profil, die schwarzen Augenbrauen, die Hakennase, die Lippen, die im Schlaf zuckten. Vorsichtig drückte ich mich an ihn und war schon fast ganz entspannt, als ich plötzlich an Tommi Laitinen denken musste, der wahrscheinlich auch nicht schlafen konnte. Der Gedanke hielt mich bis fast drei Uhr wach.
Am nächsten Morgen segnete ich den Kamillenteebeutel, der auf der Spüle liegen geblieben war. Iida wunderte sich, als ich beim Kaffeetrinken abwechselnd ein Auge mit dem Teebeutel bedeckte. Als ich Antti von meinen Schlafproblemen erzählte, machte er ein besorgtes Gesicht und ließ mich schwören, ihn beim nächsten Mal zu
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