Wie man sie zum Schweigen bringt
überhaupt, welches Frauenbild ich Iida vermitteln wollte?
In letzter Zeit hatte ich mich immer wieder dabei ertappt, wie ich das Foto meiner Großmutter anstarrte, das alte Gesicht einer Fünfunddreißigjährigen, deren Augen den meinen glichen. Wieso erinnerte ich mich an meine Großmutter? Warum verdrängte ich die Erinnerungen an meine Mutter, die noch lebte, aber dennoch so weit von mir entfernt war, als verberge sie sich hinter einem Vorhang, selbst wenn sie neben mir stand? Manchmal, wenn meine Mutter mit Iida schäkerte, erkannte ich den Tonfall wieder, den ich selbst in meinen ersten Lebensjahren gehört hatte.
Als Kind hatte ich die alten, sorgfältig aufbewahrten Schulbücher meiner Mutter bewundert, auf deren Seiten dutzendweise liebevoll gezeichnete Prinzessinnen prangten. Ich hatte meine Mutter nie mit einem Zeichenstift gesehen, doch damals quengelte ich, sie solle mir Prinzessinnen als Anziehpuppen malen. Ich versuchte, selbst Püppchen zu zeichnen, aber die Locken wurden nie so adrett wie auf den alten Bildchen meiner Mutter, und statt der komplizierten Perlenstickerei auf dem Kleid brachte ich nur Kleckse zustande. Meine Mutter hatte keine Zeit, weil sie sich um meine kleinen Schwestern kümmern musste. Da kam ich auf die Idee, dass ein Ritter im Harnisch viel leichter zu zeichnen war, und fing an, mit männlichen Anziehpuppen zu spielen.
Ein paar Jahre später, als ich längst von Puppen zum Fußball übergegangen war und mir von meinen Ersparnissen die erste Gitarre gekauft hatte, deren Stahlsaiten mir in die Finger schnitten, hatte Mutter plötzlich Zeit, für meine Schwestern Prinzessinnen zu zeichnen. Ich verachtete sie, zerriss sie aber nur mit Worten. Als meine Schwestern dann für Charlies Engel schwärmten und sich von Vater Holzpistolen für ihre Spiele schnitzen ließen, steckte ich voller Hass auf die amerikanischen Glamourfrauen und erklärte, in Wahrheit hätten die drei Engel gar keine Macht, denn sie befolgten lediglich die Befehle eines anonymen Mannes. Als ich zur Polizeischule zugelassen wurde, spielten mir meine Schwestern grinsend den Monolog vor, mit dem die Serie begann: »There were three little girls who went to the Police Academy . « Anschließend sagten sie, sie beneideten mich nicht, obwohl ich die Einzige von uns sei, die bald eine richtige Waffe tragen dürfe.
Warum hatte ich permanent versucht, anders zu sein als meine Mutter und meine Schwestern? Immerhin war auch meine Mutter berufstätig, und meine beiden Großmütter hatten so hart arbeiten müssen wie Männer. Erst meine Schwester Eeva lebte in finanzieller Sicherheit und in einer Zeit starker sozialer Netze und konnte es sich leisten, zu Hause zu bleiben, bis ihr jüngstes Kind eingeschult wurde. Wie sah denn die Frau aus, die ich sein wollte? Wie würde ich mich fühlen, wenn Iida das genaue Gegenteil zu ihrem Ideal erkor?
Das Klingeln des Handys erlöste mich von meinen selbstquälerischen Gedanken, und ich beeilte mich zu antworten. Normalerweise betrafen Anrufe am Mobiltelefon dienstliche Angelegenheiten. Vielleicht war Marko Seppälä aufgegriffen worden.
»Guten Tag, Kim Kajanus hier. Entschuldige bitte, dass ich außerhalb der Dienstzeit anrufe, aber es geht um den Mord an Petri Ilveskivi. Du leitest die Ermittlungen, nicht wahr? Könnten wir uns treffen? «
Die Stimme des Mannes klang jung und hell, sein Finnisch hatte einen leichten finnlandschwedischen Akzent.
»Du hast also Informationen über Ilveskivis Tod? «
»Das nicht direkt… Aber über Petri . «
»War er dein Freund? «
Ich hörte ein verlegenes Schlucken, bevor er weitersprach.
»Eva Jensen hat mir deine Telefonnummer gegeben. Sie ist meine Therapeutin und hat mir geraten, mit dir zu sprechen. Petri und ich…« Er schwieg sekundenlang.
»Wir hatten ein Verhältnis, und jetzt habe ich Angst, dass Tommi…«
Mein überraschtes Luftholen war offenbar bis ans andere Ende zu hören, denn Kajanus fügte hastig hinzu: »Niemand wusste davon, dachte ich jedenfalls. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher . «
Meine Gedanken sprinteten los wie Michael Johnson über die zweihundert Meter in Atlanta. Petri Ilveskivi war doch angeblich ein Muster ehelicher Treue gewesen. Ich erinnerte mich an Eva Jensens zurückhaltendes Benehmen am Abend nach seinem Tod. Sie hatte von Kim gewusst, war aber selbstverständlich an die Schweigepflicht gebunden.
»Passt es dir in einer Stunde im Espooer Polizeipräsidium? «
Statt des
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