Wie Pferde denken und fühlen - Wendt, M: Wie Pferde denken und fühlen
Überlebenssicherung eingeleitet werden können. Jedes einzelne Gefühl setzt sich aus einer Reihe von physiologischen Veränderungen, Gedanken und unbewussten Reaktionen und aus feinen Nuancen der Mimik und Körperhaltung zusammen. Beispielsweise wirkt sich das Angstgefühl, auf das wir später noch einmal zurückkommen werden, bei Mensch und Pferd vermutlich sehr ähnlich aus. Nehmen wir einmal an, Sie selbst hätten Höhenangst und Ihr Pferd Angst vor Traktoren, dann würden Sie in den entsprechenden, die Angst auslösenden Situationen verblüffend ähnlich reagieren: Das Herz würde schneller schlagen, vielleicht würden Sie beide schon bald beginnen zu schwitzen, Sie würden sich im Bruchteil einer Sekunde an vergangene Erlebnisse erinnern und auch Ihre schlimmsten Befürchtungen vor dem inneren Auge sehen („Oh nein, ich falle gleich!“ oder „Das Monster wird mich fressen!“). Außenstehende würden Ihre Angst an der verspannten Haltung, den weit geöffneten, verdrehten Augen und den großen Pupillen bemerken können.
Angst ist ein überlebenswichtiges Gefühl und löst bei allen Lebewesen ähnliche körperliche Reaktionen aus.
Mit kreativen Ideen kann man Pferden, die unter Stress leiden, wieder Spaß an der gemeinsamen Beschäftigung vermitteln.
Die Summe dieser Veränderungen macht das Gefühl aus, und im Nachhinein wird man kaum mehr sagen können, ob zuerst die körperlichen Reaktionen oder zuerst die angstbesetzten Gedanken vorhanden waren. Es handelt sich hier um eine komplexe Rückkopplung: Alles ist mit allem verbunden, das eine kann Auslöser für das andere sein und umgekehrt. Wenn wir uns diese Tatsache zu Herzen nehmen, können wir auch verstehen, warum das Lachen als Therapie für einen depressiven Menschen möglich ist. Wir können dem Gehirn sozusagen das Gefühl der Freude vorgaukeln, wenn wir die typischen Ausdrucksmerkmale der Freude (lachen, Mundwinkel hochziehen, vergnügt herumspringen) und typische Gedanken („Das macht Spaß!“, „Ich bin gut drauf!“) vortäuschen. Das Gehirn wird darauf wie bei echter Freude reagieren und wir werden uns nach kurzer Zeit besser fühlen. Diese Erkenntnis kann auch bedeutsam für die Behandlung von gestressten oder depressiven Pferden sein. Hier kann ebenfalls durch eine Spieltherapie „Freude“ generiert werden, um dem Pferd endlich mal wieder sozusagen ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern.
Botschaften des Gehirns
Botschaften des Gehirns
Mithilfe der Gefühle (in Zusammenarbeit mit bewussten Gedanken und einfachen Steuerungsprozessen) „beherrscht“ das Gehirn eines Tieres seinen Körper. Biologisch sollte jedes Lebewesen versuchen, einen Idealzustand zu erreichen, um gesund und fit zu bleiben und möglichst lange zu leben. Um erkennen zu können, was „gut“ und was „schlecht“ für ein Tier ist, hat die Natur ihm die Gefühle gegeben. Das, was sich gut anfühlt (also Freude oder Befriedigung verschafft), ist häufig auch gut für den Organismus, während das, was sich schlecht anfühlt (was Angst macht oder uns ärgert), meistens auch negativ für das Tier ist. Dementsprechend wird das Tier zu seinen Verhaltensentscheidungen kommen. Es wird nach dem Positiven streben und die Dinge, die negative Gefühle auslösen, meiden. Für das neugeborene Pferd ist es gut, dass sich die Nähe der Mutter positiv anfühlt und ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt, denn so bleibt das Fohlen bei ihr und kann unter ihrem Schutz gedeihen. In der Natur bedeuten sich schnell bewegende größere Objekte von hinten häufig Feinde, daher ist es für das Pferd gut, mit Angst darauf zu reagieren, um das eigene Leben zu schützen.
Diese Botschaften des Gehirns bringen den Körper des Tieres zum Reagieren. Dabei sollten wir uns hüten, in die Reaktion des Tieres eine bestimmte Absicht hineinzuinterpretieren. Nehmen wir an, Ihr Pferd tritt Ihnen auf den Fuß oder drängelt Sie beiseite. Steht böse Absicht dahinter? Vielleicht war das Pferd so aufgeregt oder verängstigt, dass es gar nicht auf Sie geachtet hat – etwas, was uns Menschen auch gelegentlich passiert. Mit unseren Mitmenschen sind wir allerdings meist nachsichtiger als mit unseren Pferden. Ein Pferd wird für das Fehlverhalten bestraft, ohne dass dessen Motivation hinterfragt wird. Die Frage nach dem „warum“ ist jedoch entscheidend für unsere Reaktion. Die allermeisten Strafen sind für das Pferd völlig unverständlich, da es die Situation ganz anders empfunden hat als wir.
Weitere Kostenlose Bücher