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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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seine Arme. »Das merkt man allein daran, wie wichtig dir dieses Foto ist, dem du so nachtrauerst.«
    »Sie glaubt, es sei von einem Engel«, entgegnete Regis trocken.
    »Ein solcher Verlust wäre gar nicht auszudenken! Das einzige Foto von einem Engel, das weltweit existiert, und dann kommt man nicht mehr an den Speicher der Kamera heran, in dem es steckt?«
    Agnes lächelte unter Tränen. »Danke, Dad«, flüsterte sie und umarmte ihn noch fester.
    »Agnes! Schatz, ich glaube, dein Zucchinibrot ist fertig!«, rief Honor aus der Küche, und Agnes eilte davon.
    »Es geht ihr schon viel besser, findest du nicht?«, sagte Regis und sah ihrer Schwester nach.
    »Sie hat sich wirklich gut erholt.«
    »Ich mag gar nicht daran denken, wie sie am Strand lag und das Blut aus ihrer Kopfwunde lief.« Regis wurde blass, zitterte am ganzen Körper und schlug die Hände vor das Gesicht.
    »Es erinnert dich sicher …« John verstummte schlagartig, als ihm die Erkenntnis dämmerte.
    Regis hielt sich die Ohren zu. Bestürzt sah er, wie sie heftig den Kopf schüttelte.
    Genau wie damals. Das Bild hatte ihn während der ganzen Zeit im Gefängnis verfolgt – und vorher, seit seiner Verhaftung – Honor und Regis, die im strömenden Regen auf der Klippe standen, das Letzte, was er von ihnen gesehen hatte, als er in Ballincastle von den
Gardai
abgeführt worden war.
    »Regis.« Er ergriff abermals ihre Hand. »Wie hast du das alles verkraftet? Nachdem du gesehen hattest, was passiert ist, dabei warst … Sie haben mich abgeführt, bevor ich mich um dich kümmern konnte.«
    »Dad, mir ist es gut gegangen«, erwiderte sie energisch.
    »Aber …« Es konnte ihr nicht gut gegangen sein. Sie hatte miterlebt, wie Gregory White aus dem Nebel aufgetaucht und sich auf sie gestürzt hatte, wie John mit ihm gerungen hatte, und dann der Stein … das Blut, das aus der Kopfwunde rann, auf den regennassen Boden, und alles, was danach geschehen war …
    »Ich habe mich schuldig gefühlt, Dad.«
    »Regis, nein …«
    Sie schluchzte leise. Er sah, wie sie schauderte, und wünschte sich, er könnte ihr helfen, könnte ungeschehen machen, was geschehen war und die Erinnerung aus ihrem Gedächtnis tilgen. Wo blieb Honor? Er brauchte sie, brauchte ihren Beistand, um Regis zu trösten. Er streckte die Hand aus und strich seiner Tochter über das Haar.
    »Es war meine Schuld«, sagte sie.
    Er sah sie fassungslos an.
    »Wenn ich dir nicht auf die Klippe nachgelaufen wäre … wäre es nicht zum Kampf mit Greg White gekommen. Es hätte keine Notwendigkeit bestanden, mich zu beschützen.«
    John fröstelte, und er fragte sich, was in ihrem Kopf vorgehen mochte. »Er war verrückt und gewalttätig«, sagte er. »Er wollte uns umbringen. Erinnerst du dich?«
    »Dad.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist das Schreckliche daran. Ich kann mich an
fast gar nichts
erinnern. Ich meine, ich hätte gesehen, wie er von der Klippe gestürzt ist …« Ihre Augen flackerten, ihre Stimme schwankte. »Aber das war’s; alles andere habe ich kaum mitbekommen. Ich weiß natürlich, was passiert ist, aber nur von Mom.«
    »Was hat sie dir erzählt?«, fragte er beklommen.
    »Dass du ausgerastet bist, als er auf mich losging. Und dass du auf ihn eingeprügelt hast …«
    »Das stimmt«, erwiderte John mit rauher Stimme.
    »Aber das alles kommt mir so vor, als wäre ich überhaupt nicht dabei gewesen. Wie ein Traum. Das Einzige, was ich mitbekommen habe, ist, wie du von den
Gardai
abgeführt worden bist. Ach Dad …« Sie trocknete ihre Tränen, blickte rasch zur Tür. »Wir sollten das Thema beenden. Sonst wird Mom wütend.«
    »Wieso?«
    »Sie will nichts mehr davon hören. Sie hat mich gezwungen, eine Therapie zu machen, die
ewig
gedauert hat – und behauptet sogar, ich hätte mich nur deshalb verlobt, weil ich ›traumatisiert‹ wäre.« Regis atmete tief durch.
    »Nun …«
    »Fang du nicht auch noch an!«
    »Ich freue mich darauf, Peter kennenzulernen«, erwiderte er und versuchte, diplomatisch die Wogen zu glätten. Als Regis ihm die Hand entgegenstreckte, damit er ihren Ring bewundern konnte, hielt er sie fest. Sein Herz machte einen Sprung, und sein Blick ging über die Wiese, zum Rand des Weingartens.
    Dass sich junge Leute hier verliebten, hatte sich offenbar nicht geändert. Er betrachtete den Hügel, die Steinmauer, dachte an sich selbst und Honor, an seine Schwester und Tom. So viel Leidenschaft auf diesen Hügeln – noch immer brannte das Feuer in

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