Wie Sand in meinen Händen
Agnes. »Scherze über deine Stimmung bei der Arbeit zu machen, während er sich beim Segeln amüsiert. Oder beim Golfen. Oder bei einem Spiel der Yankees. Oder –«
»Peter unternimmt eben gerne Dinge, die Spaß machen«, entgegnete Regis. »Was ist dagegen einzuwenden?«
»Ich weiß immer noch nicht, warum du glaubst, dass er der Richtige ist«, warf John ein. »Warum deine Wahl auf ihn gefallen ist, unter all den jungen Männern in Black Hall, Connecticut, Boston oder sonst wo auf der Welt …«
»Und woher wusstest du, dass
Mom
die Richtige ist?«, erwiderte Regis trotzig und griff nach der Weinflasche. Sie leerte ihr Wasserglas auf einen Zug und schenkte sich Wein ein, wobei sie Honor herausfordernd ansah.
Honors Herz klopfte. John am Tisch zu haben war vertraut und fremd zugleich. Sein Gesicht war hager, der unbekümmerte Ausdruck, den sie so geliebt hatte, von Melancholie und Kummer überschattet. Die Mädchen saßen reglos da, wie auf heißen Kohlen, und hielten nach jedem Zeichen Ausschau, das zwischen ihren Eltern ausgetauscht wurde.
»Ich wusste es von dem Augenblick an, als ich eure Mutter zum ersten Mal sah«, sagte John, den Blick auf Honor am anderen Ende des Tisches gerichtet. »Wie Cece bereits sagte – ihre Familie wohnte auf Hubbard’s Point und wir auf Star of the Sea; wir begegneten uns am Strand, wo wir uns alle versammelt hatten, um ein Schiff zu bestaunen, das der Sturm freigelegt hatte.«
»Ein gesunkenes Schiff, ein Wrack«, fügte Honor hinzu. Es war beruhigend, auf eine Geschichte zurückzugreifen, die die Mädchen oft gehört hatten und die inzwischen kaum mehr wie Realität, sondern eher wie eine Legende anmutete.
»Es dunkelte, und die ersten Sterne waren aufgegangen. Es schien, als würden sie sich geradewegs aus dem Wasser erheben. Im Westen stand der Mond am Himmel, eine schmale, tiefhängende Sichel. Das dunkle Haar eurer Mutter glänzte, und ihre Augen strahlten – ich hatte nur noch den Wunsch, sie die ganze Nacht anzuschauen.«
»Aber sie wollte die Wrackteile vom Sand befreien«, kicherte Cece.
»Stimmt«, sagte John. »Wir versuchten es mit vereinten Kräften – eure Mutter, Tante Bernie, Tom und ich. Wir hatten es zu unserem Projekt gemacht und trafen uns dort am nächsten Tag und am übernächsten.«
»Und du hast viele Aufnahmen gemacht«, sagte Agnes. Sie deutete auf die Anrichte, und Honor blickte auf die zwei gerahmten Fotos, die darüber hingen. Niemand verstand es wie John, die Trostlosigkeit eines Schiffbruchs gleich welcher Art im Bild einzufangen: zersplitterte Holzbalken, die aus dem Sand ragten, sich dunkel gegen das mondhelle Meer abhoben. Honor starrte die Bilder an und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
»Wir haben im Lauf der Jahre einige gemeinsame Projekte gehabt«, sagte John. »Das war nur das erste.«
»Ich weiß, ihr habt oft zusammengearbeitet«, sagte Agnes. »Mom hat ihre Staffelei mitgenommen und sie dort aufgestellt, wo du deine Installationen errichtet hast. Ihr habt euch gegenseitig inspiriert.«
»Stimmt. Zumindest hat sie mich inspiriert.«
Die Mädchen blickten Honor erwartungsvoll an, aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Sie betrachtete die Fotos, die John von dem Schiffswrack gemacht hatte. Sie wirkten immer noch beflügelnd, verliehen ihr das Gefühl, lebendig und voller Energie zu sein. In diesen letzten Wochen hatte sie dieses innere Feuer in ihrer Kunst wieder entdeckt, dem einzigen Mittel, das ihr ermöglichte, ihren Empfindungen freien Lauf zu lassen.
»Der springende Punkt ist, dass euer Vater und ich uns gut kannten und wir uns viel Zeit gelassen haben, bevor wir uns verlobten«, sagte Honor schließlich. »Und selbst dann haben wir noch ein ganzes Jahr mit der Heirat gewartet.«
»Und ihr seid immer noch zusammen.« Regis’ Stimme klang überbetont heiter. Hatte sie zu viel Wein getrunken? »Kommt, lasst uns noch einen Toast ausbringen! Na los, alle … oh, ich wünschte, Peter wäre schon da, um das mitzuerleben …«
»Regis«, sagte Honor warnend.
»Auf unser Beisammensein!« Regis hob das Glas und stieß mit allen an.
»Auf uns«, sagten ihre Schwestern; John und Honor sahen sich wortlos an.
»Warum sagt ihr nichts?« Regis blickte Honor an.
»Regis, hör auf«, sagte Honor abermals.
»Es ist meine Schuld, stimmt’s? Meinetwegen musste er ins Gefängnis, und nun kannst du nicht zulassen, dass er … Ich habe alles verdorben.«
»Unsinn«, entgegnete John hastig. »Dass ich
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