Wie Sand in meinen Händen
Schubs versetzt hat? Noch nicht einmal mit Absicht?« Agnes war empört.
»Er behauptet, sie hätte ihn tätlich angegriffen und ihm eine Kratzwunde zugefügt.«
»Das war kaum der Rede wert«, meinte Honor, aber ihre Miene war besorgt.
»Sie ist nur loyal gegenüber ihrem Vater«, warf Bernie ein.
»Sie wollte ihn verteidigen«, fügte Honor hinzu.
Wie auf ein Stichwort sahen alle Polizisten John an. »Sind Sie der Vater?«
»Der bin ich«, erwiderte John knapp; die Aufmerksamkeit von gleich vier Polizisten auf sich gerichtet zu wissen, machte ihn nervös.
»Sie sind John Sullivan«, sagte der jüngere Polizist. John erkannte ihn wieder, es war Officer Kossoy. Er hatte an dem Abend Dienst gehabt, als Agnes den Unfall gehabt hatte.
»Richtig.«
»Der Künstler?«, fragte die Polizistin.
»Ja«, erwiderte John, auf der Hut. War er ihr durch seine Arbeiten oder durch die Ereignisse in Irland bekannt?
»Ich bin Detective Cavanagh, und das ist mein Partner, Detective Gaffney«, sagte die Beamtin.
»Sie sind mit dem Gesetz schon einmal in Konflikt geraten, Mr. Sullivan«, meinte Gaffney. »Wir wissen Bescheid.«
»Was hat das mit unserer Tochter zu tun?«, warf Honor ein. »Bitte –«
»Wir haben Nachforschungen über Sie angestellt«, sagte Officer Kossoy. »Nach dem letzten Unfall, als Agnes von der Mauer stürzte. Damals in Irland war Ihre Tochter Regis bei Ihnen, nicht wahr? Als Sie diesen Mann getötet haben?«
»Wir waren alle dort.« Honors Stimme wurde lauter. »Und es war Notwehr, mein Mann hat Regis beschützt!«
»Das stimmt!«, schrie Cece, als Officer Kossoy Johns Arm ergreifen wollte. »Lassen Sie meinen Vater in Ruhe!«
»Cece!« Agnes packte ihre Schwester und schlang die Arme um sie.
»Glauben Sie, dass ein Zusammenhang zwischen Regis’ Verschwinden und der Inschrift bestehen könnte?« Die Frage von Detective Cavanagh war an niemand Besonderen gerichtet.
John erinnerte sich, dass Tom ihm die erste Zeile vor zwei Wochen gezeigt hatte, und nun las er die neu hinzugekommenen Worte, die sich knapp über seiner Augenhöhe befanden:
LEGE MICH WIE EIN SIEGEL AUF DEIN HERZ ,
WIE EIN SIEGEL AUF DEINEN ARM .
DENN LIEBE IST STARK WIE DER TOD .
»Glauben Sie, dass meine Tochter das hier eingeritzt hat?«, fragte Honor. »Sie reicht nicht einmal bis dort hinauf – sie ist nur einen Meter sechzig groß.«
»›Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod‹–« John las abermals die Zeilen, und ein Schauder rann ihm über den Rücken. »Woher stammt dieses Zitat?«
»Aus der Bibel«, meinte Brendan. »Aus dem Alten Testament.«
Alle Köpfe fuhren herum. Mit seinen roten Haaren und den strahlend blauen Augen stand er da und betrachtete die Inschrift. John sah, dass der junge Mann trotz seiner Magerkeit drahtig und stark wirkte. Doch auch er war zu klein, um mit ausgestreckten Armen so weit nach oben zu gelangen. John ertappte sich dabei, dass er nach einer Art Trittleiter Ausschau hielt, auf die der Junge gestiegen sein könnte.
»Haben wir etwa einen Schriftgelehrten unter uns?«, fragte Bernie lächelnd.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Aber ich habe eine Schule besucht, die von Jesuiten geleitet wurde, deshalb …«
»Aha«, sagte sie. »Die Jesuiten. Die Krieger und Denker in der Welt des Glaubens. Üben strenge Disziplin. Seltsam, ich hätte nie gedacht, dass sie dem Hohelied Salomons so großen Wert beimessen. In diesem Teil der Heiligen Schrift geht es ausschließlich um die Liebe; um ihn anderen Menschen überzeugend nahezubringen, bedarf es eines Menschen, der liebevoller und sanfter ist als ein Jesuit.«
Brendan nickte, als wüsste er, was sie meinte.
John wunderte sich über den jungen Mann, der sich mit Bernie über das Alte Testament und mit Agnes über Tir Na Nog unterhalten konnte, wie er gerade vor ein paar Minuten gehört hatte. Wieder las er die Zeile ›Denn Liebe ist stark wie der Tod‹. Ihn fröstelte.
»Glauben Sie, dass Liebe genauso stark ist wie der Tod?«, fragte John und sah Brendan unvermittelt an.
»He«, sagte Officer Kossoy. »Das ist eine polizeiliche Ermittlung. Warum heben wir uns das Metaphysische nicht für später auf?«
»Manchmal geht beides Hand in Hand«, sagte Brendan, als hätte der Polizist kein Wort gesagt, und sah John unverwandt an. »Das weiß allerdings nicht jeder.«
»Aber Sie wissen es?«, fragte John.
Brendan nickte bedächtig, erwiderte Johns
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