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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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an ihren Vater erinnerte. Während sie betete, schnurrte Sisela. Sie stupste Agnes’ Wange mit ihrer Nase an. Agnes war überzeugt, dass sie kein Wässerchen trüben konnte und übernatürliche Kräfte besaß – sie war immer ein Trost für die Familie gewesen und in der Lage, vorübergehende Engel wahrzunehmen. Vom Meer wehte eine kühle Brise herein, und Mädchen und Katze wandten ihre Gesichter dem Fenster zu. Dort drüben, an einer grasbewachsenen sumpfigen Stelle, an die älteste Mauer gelehnt, entdeckte Agnes ihre Mutter. Sie winkte aus dem Fenster, doch Honor bemerkte sie nicht.
    Der Kopf ihrer Mutter war gebeugt. Sie schien ein blaues Blatt Papier zu betrachten, das sie in den Händen hielt. Sogar aus der Entfernung konnte Agnes erkennen, dass ihre Schultern bebten, konnte sehen, dass sie weinte.
     
    Nach dem Schiffsdebakel lieh Regis sich Peters Jeep, um nach Hause zu fahren. Sie konnte nicht länger bleiben, egal, was die Drakes dachten. Durch das offene Verdeck hielt sie angestrengt nach Polizisten Ausschau, die bestimmte Stellen bevorzugten, um Verkehrssünder auf frischer Tat zu ertappen. Ihre Tante hatte sie auf diese Fallen aufmerksam gemacht – nicht nur in der Stadt, sondern auch an der I-95; sie hatte gesagt, dass die berittenen Staatspolizisten oft in Niantic auf der Lauer waren, verborgen hinter der Böschung mit den breitblättrigen Kalmien.
    Regis spürte die Sonne auf ihrem Gesicht, während sie fuhr. Genau wie ihre Mutter, ihre Tante und ihre beiden Schwestern hatte sie einen hellen Teint und Sommersprossen. Als Kind hatte ihr Vater sie immer daran erinnert, sich mit Sonnenschutzmittel einzucremen. Damals hatten sie oft am Strand gespielt und aus Treibholz und Sand Skulpturen gebaut, die er für seine Aufnahmen verwenden konnte; er hatte sie immer gerufen und ihr rasch Schultern und Nase eingerieben, um ihre Haut vor der Sonne zu schützen, auch wenn er dabei Gefahr lief, das Spiel des Lichts auf Wasser und Sumpfgras zu verpassen.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie daran dachte, wie er sich stets bemüht hatte, sie zu beschützen. Ihre Mutter schien das vergessen zu haben – die liebevolle Aufmerksamkeit, die er seiner Familie entgegenbrachte, wie er sie immer ermahnte, sich einzucremen, wenn die Sonne schien, ihre Jacken anzuziehen, wenn es kalt war, und wie er ihnen Gutenachtgeschichten erzählte oder an ihrem Bett saß, wenn sie schlecht geträumt hatten. Kam er wirklich nach Hause? Ihr Magen verkrampfte sich, als sie daran dachte, was in seinem Brief stehen mochte und was ihre Mutter dazu sagen würde.
    Regis’ Ring glitzerte im hellen Licht. Er funkelte wie ein Stern, als wäre Peter auf eine Leiter gestiegen, um ihr Arkturus, den Bärenhüter, vom Himmel zu holen, damit sie ihn am Finger tragen konnte. Doch der Anblick ihrer Mutter, die bei Tagesanbruch Mondsteine sammelte, hatte sie wie ein Schlag getroffen; ihre Eltern hatten sich unsäglich geliebt und weder Diamanten noch ähnlichen Schnickschnack gebraucht.
    Als die großen Steinmauern und schmiedeeisernen Tore in Sicht kamen, klopfte ihr Herz wie verrückt. Ein weitläufiges Sumpfgebiet erstreckte sich bis zu der Anhöhe, auf der sich die Akademie befand. Das Anwesen, auf dem sich silbergrünes Gras im Spätsommerwind wiegte, wirkte still und beschaulich. Sie fuhr an den Straßenrand, betrachtete durch den Eisenzaun die dicht aneinander gedrängten Natursteingebäude und das Kreuz auf der Turmspitze der Kapelle, dessen Silhouette sich vor dem strahlend blauen Himmel abzeichnete. Zum zweiten Mal an diesem Tag musste sie schaudernd an die letzte Skulptur ihres Vaters denken.
    »Pssst«, hörte sie mit einem Mal eine Stimme.
    Sie suchte die Umgebung mit den Augen ab, konnte jedoch nur eine Bisamratte auf der anderen Seite des Sumpfes und ein Fischadler-Paar entdecken, das über dem schimmernden Wasser kreiste, nicht weit von der Stelle entfernt, wo Cece und sie das Reihernest gefunden hatten. Und Sisela, die weiße Katze der Familie, die im Schilf Jagd auf Mäuse machte. Plötzlich steckte Cece ihren Kopf aus dem Entwässerungsgraben, wie verrückt grinsend, die braunen, wild vom Kopf abstehenden Locken, in denen sich Zweige und Grashalme verfangen hatten, übersät mit Blütenstaub.
    »Was machst du denn da?«, fragte Regis.
    »Ich habe den Tunnel benutzt, was sonst.«
    »Nur Erwachsene dürfen die unterirdischen Gänge betreten.«
    »Träum weiter, wenn du glaubst, ich würde mich an diese blödsinnige Regel

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