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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Briefpapier aus dem blauen Umschlag, senkte den Blick und begann zu lesen.
    Liebe Honor,
    wie geht es Dir? Wie geht es den Mädchen? Ich denke an euch, jeden Tag, ohne Unterlass. So war es von Anfang an, und daran hat sich nichts geändert.
    Danke, dass Du mich über Regis’ Pläne informiert hast. Ich kann kaum glauben, dass sie schon alt genug ist, um einen Freund zu haben, geschweige denn, dass sie heiratet. Sie hat kein Wort davon in ihren Briefen erwähnt. Danke übrigens, dass Du sie an mich weitergeleitet hast. Ich habe keine Ahnung, warum sie es nicht für nötig hielt, mir von ihrer bevorstehenden Hochzeit zu erzählen. Darüber zerbreche ich mir ständig den Kopf.
    Du könntest mich vermutlich über die genauen Gründe aufklären, Du kennst sie so gut. Mir fällt nur ein Grund ein: Sie möchte vielleicht nicht, dass ich mich schlecht fühle. Und mir ausmale, wie ich sie in der Kirche ihrem Bräutigam zuführe. Verrückt, oder? Wäre das nach all den Jahren das Letzte, was sie sich wünschen würde?
    Ich nehme an, die Hochzeit findet auf Star of the Sea statt. Du hast es nicht erwähnt, und auch das wundert mich. Aber deshalb sollst Du Dir keine Sorgen machen oder ein schlechtes Gewissen haben, Honor. Ich hätte vielleicht auch geschwiegen, wenn ich an Deiner Stelle wäre. Wie hätte ich Dir das antun können – die Erinnerung an einen Ort heraufzubeschwören, der so wichtig für uns war, für unsere Familie, die Kapelle, in der wir uns in die Augen geschaut und gelobt hatten, einander zu lieben, zu ehren und im Herzen zu bewahren, wo wir »Ich will« gesagt haben und unser gemeinsames Leben begann? Ich hoffe, das ist der Grund für Dein Schweigen, und nicht die Angst, ich könnte dort aufkreuzen.
    Bei diesen Worten schnappte Regis nach Luft, und Honor hob den Blick.
    »Das glaubt er wirklich?«, fragte sie. »Das stimmt nicht! Ich konnte nur nicht ahnen, dass er bis dahin wieder zu Hause sein würde …«
    »Hör einfach zu, Schatz«, meinte Honor.
    »Lass deine Mutter zu Ende lesen«, sagte Bernie.
    Ich wünsche mir nur eines, Honor: an der Hochzeit unserer Tochter teilzunehmen. Ich nehme an, dass Du einverstanden bist – denn sonst hättest Du mir nicht geschrieben, dass sie heiratet.
    Ich habe Deine Wünsche respektiert, Honor. Ich habe Deine Begründungen akzeptiert, meistens. Sie haben allerdings mehr Sinn gemacht, als ich noch im Gefängnis war.
    Damals –
    »Damals?«,
fragte Regis. »Wann wurde er entlassen? Warum hat uns niemand etwas erzählt?«
    »Psst«, sagte Bernie. »Hört zu.«
    Damals war alles völlig klar. Ich hatte es vermasselt. Ich hatte unsere Ehe aufs Spiel gesetzt – mit welchem Recht hätte ich Deine Wünsche auch nur in Frage stellen sollen? Das Leben hinter Gittern hat seine eigenen Regeln und Gesetze, es gibt nur Schwarz oder Weiß. Gut oder Böse. Zweifel waren mir fremd. Ich hasste mich so sehr für das, was mich ins Gefängnis gebracht hatte, dass ich der Meinung war, ich sei es nicht wert, Deine Entscheidungen zu hinterfragen. Doch während der letzten sechs Monate hat sich alles geändert.
    Die Natur hat das bewirkt. Wenn man den Himmel nur durch Gitterstäbe betrachten kann, wird man davon abgehalten, sich ständig Fragen zu stellen. Honor, ich hatte Angst, den Verstand zu verlieren, wenn ich mir zu viele Fragen stellte. Doch auf dem Gipfel eines Berges, in der Tundra, an der Meeresküste oder auf dem Meer brechen sich alle Fragen ihre Bahn.
    Honor hielt inne, überflog die nächste Seite des Briefes, die nicht für die Ohren ihrer Töchter bestimmt war. Sie spürte, wie gespannt die Mädchen darauf warteten, dass sie fortfuhr. Klares blaues Licht fiel durch die Bogenfenster, auf den Brief, den sie im Schoß hielt.
    Weißt Du, die Fragen haben ausnahmslos mit ein und demselben Thema zu tun. Und es gibt darauf nur eine Antwort. Denk darüber nach, Honor. Du bist diejenige, die sie mir als Erste gegeben hat, vor langer Zeit. Meine kluge …
    Wieder machte sie eine Pause, unwillig, seine Worte laut vorzulesen. Sie hätte den Brief entsprechend kürzen sollen, bevor sie ihn den Mädchen zu Gehör brachte.
    Ich werde Euch also bald wiedersehen, Euch alle. Und ich werde zu Regis’ Hochzeit kommen, es sei denn, Du oder sie würdet lieber darauf verzichten.
    »Das war’s«, sagte Honor.
    Als sie den Blick hob, sah sie die bestürzten Gesichter ihrer Töchter. Am liebsten hätte sie ihnen umgehend alles erklärt, ihnen alles erzählt, was sie wissen und verstehen

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