Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
halten. Seit meinem fünften Lebensjahr weiß ich, dass es sie gibt. Und rate mal, wer sie mir gezeigt hat?«
    »Ich. Den Tag werde ich bis an mein Lebensende bereuen. Wo ist Mom?«
    »Wartet darauf, dass du nach Hause kommst.«
    »Und Agnes?«
    »Deshalb habe ich ja den Tunnel benutzt.« Cecilia sah sie mit dem Lächeln einer Spionin an, die geistig leicht zurückgeblieben war. »Ich bin ihr gefolgt.«
    »Und …?« Regis versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie besorgt sie war.
    »Zuerst ist sie zur Blauen Grotte und fünf Mal um die Marienstatue herumgegangen. Mom dachte, sie hätte ihr Frühstück aufgegessen, aber weit gefehlt. Sie hat ihren Bagel als Opfergabe dargebracht und der Jungfrau Maria zu Füßen gelegt.«
    »Ich bin sicher, dass die Vögel sich darüber gefreut haben. Oder die Backenhörnchen. Und dann?«
    »Dann …« Die Pose der ausgeflippten jungen Spionin geriet ins Wanken. »Dann ist sie auf den Mauern herumspaziert …«
    »Auf den Mauern.« Regis schloss die Augen. »Bist du sicher?«
    »Ich habe sie gesehen.«
    »Wie weit ist sie gegangen?«
    »Ganz bis zum Rand.«
    »Ist sie ins Wasser gesprungen?«
    Cecilia nickte ernst.
    »Und du hast wirklich gesehen, wie sie aus dem Wasser kam?« Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
    Cecilia nickte abermals. »Warum macht sie so etwas?«, fragte sie.
    Ihre verwegene Miene war verschwunden; sie wirkte mit einem Mal verletzlich, wie Regis schmerzlich bemerkte, und plötzlich wurde ihr klar, dass sich Cecilia im Graben versteckt und sie abgefangen hatte – dieses Zusammentreffen war alles andere als zufällig. Cecilia blinzelte, wartete mit großen Augen darauf, dass sie etwas Kluges von sich gab, wie es sich für eine große Schwester gehörte.
    »Das erkläre ich dir ein anderes Mal.« Regis schüttelte die seltsamen Gefühle ab, die sie durchströmten und die sie um jeden Preis loswerden wollte. Sie blickte abermals auf die Uhr und schüttelte den Kopf.
    »Wir müssen gehen«, sagte Cece. »Mom und Tante Bernie sind im Konvent, und ich glaube, sie wollen mit uns reden.«
    »Wo ist Agnes?«
    »Lässt sich trocknen.«
    »Aha. Na los – hüpf rein. Wir gehen zu Mom.«
    »Nein, ich hole erst Agnes. Wir treffen uns dort.«
    Cecilia sauste davon. Regis sah bewundernd zu, wie sie in der Felsspalte verschwand und die Abkürzung durch den Tunnel nahm. Regis wusste, dass sich Cece für Agnes verantwortlich fühlte; sie wusste, wie mutig man sich Herausforderungen im Leben stellen konnte, wenn es jemanden zu beschützen galt – mutig genug, um dunkle, muffige, unterirdische Gänge zu betreten. Reglos dasitzend, dachte Regis daran zurück, wie sie zum ersten Mal einen Fuß in den Tunnel gesetzt hatte. Sie war fünf gewesen, genau wie Cece. Dort unten war es stockfinster und der Boden schlüpfrig gewesen, durch das Gemäuer drang kaum Licht, und Moos wuchs auf dem Pfad unter ihren Füßen; dennoch hatte sie keine Angst gehabt. Sie war mit ihrem Vater zusammen gegangen. Hand in Hand.
    »Gemeinsam sind wir stark«, hatte sie immer zu ihm gesagt. Sie hatte fest daran geglaubt. Wenn es nur wahr gewesen wäre; doch mit ihrer letzten gemeinsamen Unternehmung hatten sie ihre Familie zerstört. Ihr Kopf begann zu schmerzen, es pochte hinter ihren Augen, wie immer, wenn sie versuchte, sich an jenen verhängnisvollen Tag zu erinnern.
    Sie legte den ersten Gang ein und fuhr mit dem Jeep durch das Steintor, den Hügel zum Kloster hinauf. Sie parkte neben dem Kombi der Nonnen, holte tief Luft und trat ein.
     
    Honor saß in einem grünen Sessel, eine Tasse Tee in der Hand. Sie sah zu, wie Schwester Bernadette Ignatius – ihre Schwägerin, die ihre Kinder Tante Bernie nannten – Agnes Tee einschenkte, einen Zuckerwürfel hineingab und ihr die Tasse reichte. Agnes schüttelte den Kopf.
    »Sie will keinen«, sagte Cecilia.
    »Agnes, du warst so lange im Wasser, dass deine Lippen immer noch blau sind. Trink den Tee«, ordnete Schwester Bernadette an.
    Agnes schüttelte erneut den Kopf, doch Bernie stellte die zerbrechliche weiße Teetasse ungerührt auf den Mahagonitisch, direkt neben ihrem Ellenbogen. Agnes starrte sie an, als könnte sie in den Teeblättern die Zukunft lesen.
    »Das ist vergebene Liebesmüh; sie rührt ihn nicht an«, ließ sich Regis vernehmen.
    »Stimmt«, pflichtete Cece ihr bei.
    »Nun, er steht jedenfalls da, für den Fall, dass sie es sich anders überlegt«, erklärte Bernie. Sie richtete sich auf, strich ihre Ordenstracht glatt und nahm auf

Weitere Kostenlose Bücher