Wie Sand in meinen Händen
weil seine Mutter dabei war. »Hallo, Mrs. Drake.«
»Guten Morgen, Regis.«
»Bin ich zu spät? Sie sagten, sieben Uhr, oder? Aufbruch zu unserer Bootsfahrt nach Block Island.«
»Die Yacht steckt im Schlamm fest«, sagte Peter. »Heute Morgen war Ebbe, und der Wasserstand war extrem niedrig.«
»Eine Mondstein-Ebbe.« Regis versuchte sich ein Lächeln abzuringen, was ihr jedoch misslang. Sie dachte an ihre Eltern: Ihre Mutter hatte keinen Ring mit einem Diamanten, sondern Mondsteine zur Verlobung erhalten. Was war, wenn ihre Mutter ihrem Vater nicht verzeihen konnte? Wenn jener verhängnisvolle Tag in Ballincastle beide aus der Bahn geworfen hatte?
»Mag sein, aber schau dir das an.« Er deutete in Richtung der Anlegestellen.
Regis spähte zwischen den Cottages hindurch; ihr Blick fiel auf das Boot der Familie, eine große weiße Motoryacht aus Fiberglas, vertäut an einer Muring vor dem Haus, die eine starke Neigung zur Steuerbordseite aufwies und unverkennbar auf Grund lag.
»So wie sie im Schlamm feststeckt, könnten die Schäden ziemlich groß sein«, meinte Peters Mutter. »Schäden am Rumpf.«
»Ich glaube nicht, Mrs. Drake«, entgegnete Regis. »Wirklich nicht. In Irland gab es ein kleines Fischerdorf namens Timoleague, gleich hinter Kinsale … Dort waren einige Boote an einer langen Steinmole vertäut, andere an Murings, und bei Ebbe saßen alle auf dem Grund des Hafenbeckens auf. Sobald die Flut einsetzte, erhielten die Boote wieder Auftrieb und fuhren aufs Meer hinaus.«
Mrs. Drake musterte Regis so eindringlich, als versuchte sie zu ergründen, ob sie von einem anderen Stern stammte. Ihre Miene ließ Regis zusammenzucken und nach Peters Hand greifen. »Das da ist kein irisches Fischerboot, sondern ein Jetcruiser, brandneu und das Beste und Teuerste, was es derzeit gibt«, erwiderte Mrs. Drake, hoheitsvoll auf die Yacht deutend. »Du wirst sicher nicht wissen wollen, was sie gekostet hat. Sie besitzt ein Ansaugsystem, von dem ich nichts verstehe, aber lass dir gesagt sein, wenn Sand, Schlamm oder Seegras hineingeraten, oder was sich sonst noch auf dem Meeresboden befindet, tut das dem Boot nicht gut. Peter, geh und hilf deinem Vater.«
»Mom –«
»Was macht dein Vater eigentlich da unten?«, erkundigte sich Regis.
»Er versucht, die Yacht auszugraben.«
»Aber die Flut setzt bald ein. Wenn man der Natur ihren Lauf lässt, löst sich das Problem von selbst.«
Wieder warf Peters Mutter ihr einen langen, furchterregenden Blick zu. Ihre Nasenflügel bebten, ihre Lippen waren zusammengepresst, kaum mehr als ein Strich. »Apropos Problem. Peter und du seid ja offenbar entschlossen, eure College-Ausbildung abzubrechen und zu heiraten. Wie ihr euren Lebensunterhalt bestreiten wollt, ist mir allerdings schleierhaft. Du bist reichlich naiv, was das wahre Leben angeht, wenn du glaubst, dass man der Natur nur ihren Lauf lassen muss, und schon lösen sich alle Probleme von alleine. Ganz im Gegenteil, oft werden Probleme dadurch erst geschaffen. Und man muss nicht Betriebswirtschaft studiert haben, um zu wissen, dass man einen Motor abschreiben kann, wenn Sand ins Getriebe gerät!«
Mrs. Drake machte auf dem Absatz kehrt und eilte ins Haus zurück. Sie war für den Bootsausflug gekleidet: weiße bequeme Hosen, rotes T-Shirt und einen lässig um den Hals geschlungenen blau-weißen Pullover. Regis errötete und blickte zu Boden, stellte sich die bunten irischen Fischerboote vor, die wesentlich schöner waren als die Treibstoffschlucker aus Fiberglas, auf die Mrs. Drake so stolz war.
»Sie hat recht«, sagte Peter. »Wir sind nicht in Irland.«
»Mein Vater kommt …«, begann Regis. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie zitterte. Sie trat näher und legte die Arme um ihn. Sie lehnten sich behutsam an eine Eiche, und er küsste sie, lange und mit Bedacht. Die Morgensonne brannte bereits auf Gesicht und Armen, und Peters Kuss gab ihr das Gefühl, im Licht dahinzuschmelzen.
Als sie sich voneinander lösten, sah er ihr in die Augen. »So, und jetzt möchte ich wissen, was du gemeint hast. Als du sagtest, dass dein Vater kommt.«
»Wir haben einen Brief von ihm erhalten. Er kommt nach Hause.«
»Dein Vater?«
Regis nickte stumm.
Peters Miene verfinsterte sich. »Wie unerfreulich.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Regis hatte das Gefühl, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst.
»Wegen … nun, wegen dem, was passiert ist. Was er verbrochen hat.«
»Er hat mir das Leben gerettet. Es
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