Wie Sand in meinen Händen
Und denk an das Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied.«
»Hast du dich deswegen verliebt?«, fragte Agnes.
»Ich habe mich verliebt, weil ich Peter begegnet bin. Bei mir gibt es nur alles oder nichts. Sollen die anderen doch auf Nummer sicher gehen und warten, bis sie das College beendet haben, um ihre Eltern nicht zu nerven. Ich liebe ihn, und damit basta.«
»Du liebst ihn, weil er dich vergessen lässt –«
Regis schüttelte ungestüm den Kopf. »Sag so etwas nicht. Unsere Liebe ist echt und wahr. Du tust ja gerade so, als wäre ich betrunken oder bekifft, oder eine Meisterin im Verdrängen. Agnes, eines kann ich dir schwören: Der Junge, der in deinen Augen Gnade finden würde, müsste ein Heiliger oder ein Engel sein. Aber für mich ist Peter der einzig Wahre.«
Die Schwestern starrten einander an. Sie kannten sich schon so lange, hatten viel durchgemacht. Für Agnes hatte es keinen einzigen Tag im Leben ohne Regis gegeben. Sie war fünf Tage nach Regis’ zweitem Geburtstag zur Welt gekommen. Die beiden Mädchen musterten sich wortlos.
»Ich muss los«, sagte Regis. »Zur Arbeit.«
»Welcher Job? Eiscreme oder Bücher?«, fragte Agnes.
»Bücher. Für Tante Bernie die dicken Wälzer in der Bibliothek abstauben.«
»Wenigstens bist du von Büchern umgeben«, sagte Agnes. All die Schularchive, Messbücher, Lateinbücher und alten Katechismen … Agnes hatte ebenfalls einen Job: Sie musste die Mal- und Fotoateliers putzen.
Regis nickte. Agnes sah, wie ihr Blick zu dem Bild auf dem hohen Sekretär hinüberschweifte, auf dem ihr Vater lächelnd zu ihnen heruntersah. Regis hatte es vor langer Zeit dort aufgestellt, kurz nach der Rückkehr aus Irland. Jemand hatte das gerahmte Foto verrückt, es nach hinten geschoben, und nun stellte Regis es behutsam auf seinen Platz zurück.
Agnes wusste, warum.
Als sie klein waren, war ihr Vater immer zu ihnen ins Zimmer gekommen, um ihnen gute Nacht zu sagen und sie zuzudecken. Er hatte dagestanden und ihnen zugelächelt – bevor er sich an das Fußende eines der Betten gesetzt und ihnen etwas vorgelesen hatte. Er war ein vorbildlicher, liebevoller Vater gewesen. Regis liebte die Vorstellung, dass es nicht nur ein Bild von ihm, sondern ihr Vater selbst war. Kein altes Foto, ein konservierter Augenblick, sondern ihr leibhaftiger Vater, der bei ihnen war.
»Ich kann es kaum glauben; er kommt wirklich nach Hause«, sagte Agnes.
Doch Regis antwortete nicht. Sie stand stumm da, die Hand auf dem Bild ihres Vaters, als wäre es realer als Agnes’ Worte. Sie lächelte ihren Schwestern zu und verließ den Raum.
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5. Kapitel
H onor spürte, wie ein Schauder ihren Körper erfasste; die Luft schien elektrisch geladen zu sein, beinahe wie beim Wechsel der Jahreszeiten, wenn der Herbst von Norden kommend einbrach. Doch es war Spätsommer, aus Gras und Felsen stieg die Hitze auf; das Meer war spiegelglatt und der Himmel wolkenlos blau. Während sie das Frühstücksgeschirr abwusch, blickte sie aus dem Küchenfenster und sah Regis, die gerade aus der Seitentür trat.
»Regis!«, rief sie. »Ich möchte mit dir reden.«
»Peter kommt auf einen Sprung vorbei, bevor ich mit der Arbeit in der Bibliothek beginne. Können wir das nicht auf später verschieben?«
»Bitte, Regis. Es dauert nicht lange.«
Honor sah, wie sie sich versteifte, ihr Blick sich verfinsterte und sie widerstrebend in Richtung Küchentür ging.
»Was gibt es?«
»Ich wollte kurz mir dir alleine sprechen. Über den Brief deines Vaters. Nur wir beide, ohne deine Schwestern.«
»Warum?«
Honor holte tief Luft. Solche Gespräche über John waren trocken und trist, kamen ihr endlos vor, als galt es, die Sahara zu durchqueren – was ihnen kein einziges Mal unbeschadet gelungen war.
»Weil ich wissen möchte, wie es dir geht.«
»Es geht mir prima, Mom.«
»Regis, rede mit mir.«
»Was willst du hören? Er kommt endlich nach Hause, und ich kann es kaum erwarten. Du schon?«
»Lenk nicht vom Thema ab. Du bist diejenige …«
»Diejenige, die dafür verantwortlich ist, dass er ins Gefängnis musste? Ich weiß, Mom.«
»Das war es nicht, was ich sagen wollte!« Honor atmete tief durch. Warum gelang es Regis so schnell, sie auf die Palme zu bringen? »Ich meine, du bist diejenige, um die ich mir Sorgen mache. Ich weiß, dass du lange auf diesen Tag gewartet hast. Ich möchte nur …«
Regis blickte sie an, hörte aufmerksam zu, und in diesem Moment verlor Honor den Mut, zu sagen, was
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