Wie Sand in meinen Händen
wechselte das Thema. »Ich weiß. Zwanzig kommt mir nur ziemlich jung vor. Liebes, du bist meine Große; deine Schwestern schauen zu dir auf, betrachten dich als Vorbild. Du sollst dir ja nur ein bisschen mehr Zeit lassen, um ganz sicher zu sein, wie es um deine Gefühle und Vorstellungen vom Leben bestellt ist. Würdest du dir das nicht auch wünschen, wenn es um Agnes oder Cece ginge?«
»Ich würde mir wünschen, dass sie sich bis über beide Ohren verlieben und das Gleiche empfinden, was ich für Peter empfinde.«
»Ich sage ja nicht, dass du Peter nicht liebst.«
»Warum bist du dann gegen die Heirat?«
»Weil man mit zwanzig nicht immer so genau weiß, was man will. Man glaubt es nur zu wissen –«
»
Du
wusstest es. Du hast Dad geliebt.«
»Aber ich habe ihn erst später geheiratet, als wir älter waren –«
»Trotzdem, du
wusstest,
was du willst. Ihr wart ein Paar – ihr habt nur mit der Hochzeit gewartet, weil man damals altmodischer war.«
Honor zuckte bei dem Wort »altmodisch« zusammen. »Wir haben bis nach dem Examen gewartet, bis dein Vater sicher war, dass er seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Er hatte sich für eine künstlerische Laufbahn entschieden, und trotz meiner Anstellung als Dozentin hielt er es für unverantwortlich, zu heiraten und eine Familie zu gründen, ohne zu wissen, ob er sich das leisten konnte.«
»Peter ist verantwortungsbewusst.«
»Er ist College-Student«, erwiderte Honor beherrscht, wohl wissend, dass sie jedes Wort auf die Goldwaage legen musste. »Ich weiß, dass er stundenweise auf dem Golfplatz arbeitet, aber seine Eltern unterstützen ihn finanziell. Du hast zwei Jobs, und er arbeitet Teilzeit. Wie soll es nach der Hochzeit weitergehen?«
»Er wird sich einen besser bezahlten Job suchen, was sonst. Wir beide werden das!« Regis machte ihrem Zorn Luft, indem sie in der Küche hin und her marschierte. »Ihr hattet auch zu kämpfen, Dad und du, als ihr geheiratet habt. Ich erinnere mich an all die Geschichten, wie du putzen gegangen bist, bevor du die Anstellung als Dozentin bekamst; und Dad hat Fotos von Schulklassen gemacht und versucht, im Einkaufszentrum Aufnahmen von Kindern mit dem Nikolaus zu verkaufen, um Geld zu verdienen.«
»Das war kein Zuckerschlecken«, sagte Honor.
Hatten John und sie den Kindern ein romantisch verklärtes Bild von den Jahren als hungerleidende Künstler vermittelt? Doch noch während sie darüber nachdachte, verspürte sie eine heftige Sehnsucht nach jener Zeit, als sie sich von Brot und Käse, Trauben und Äpfeln ernährt, für ihre Träume gelebt und nach den Sternen gegriffen hatten.
»Sicher war es das nicht, aber ihr habt euch geliebt und aneinander geglaubt. Wie Peter und ich«, meinte Regis.
Honor griff nach Regis’ Hand. Zu ihrer Verwunderung ließ sie es zu und ihre Blicke trafen sich. »Dein Vater und ich haben uns bewusst für ein Leben als Künstler entschieden. Das war für uns ein Antrieb. Deshalb wussten wir auch genau, was wir wollten und tun mussten, um unsere Ziele zu erreichen.« Sie verschwieg, dass sie nahe daran gewesen war, ihre eigenen künstlerischen Projekte aufzugeben, während Johns gediehen. »Wisst ihr beide, Peter und du, was ihr wollt?«
Regis sah ihre Mutter lange an, und Honor konnte es kaum fassen, wie erwachsen Regis, ihr Baby, mit einem Mal schien.
»Was wir wollen? Wir wollen einander«, erwiderte Regis. Sie zog behutsam ihre Hand weg, küsste Honor auf die Wange und eilte zur Tür hinaus. Peter wartete in der Auffahrt; Honor sah, wie sie zu seinem Wagen lief und einstieg. Sie sah, wie er sich zu ihr beugte und sie küsste und wie Regis sich über den Steuerknüppel hinweg in seine Arme warf und seine Nähe suchte. Sie standen lange Zeit in der Auffahrt und hielten sich umschlungen. Dann legte Peter den Gang ein und fuhr los.
Honor blickte aus dem Fenster und sah ihnen nach. Es tat ihr weh, mit anzusehen, wie abgöttisch Regis ihren Freund liebte. Das lag weniger daran, dass sie die Beziehung missbilligte, sondern vielmehr an der Erinnerung, wie sie selbst mit zwanzig gewesen war. Sie hatte das Gleiche für John empfunden.
Ohne sich um das restliche Geschirr im Spülbecken zu kümmern, ging sie in ihr Atelier. Es kribbelte sie in den Fingerspitzen, zu malen. Sisela lag zusammengerollt auf der Fensterbank, eine Pfote über den Augen. Das Sonnenlicht, das hereinfiel, verlieh der alten Katze ein strahlend weißes Fell. Honor blieb stehen, das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
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