Wie soll ich leben?
die zum Herzog von Sachsen unterwegs waren, um ihm zwei Straußenvögel zu bringen. Montaigne bemerkte auch, dass man hier die Gläser «mit einer langstieligen Bürste aus feinen Borsten» reinigte. Fasziniert war er von einer ferngesteuerten zweitorigen Anlage in der Stadtmauer, deren Kammern verschließbar waren wie die Schleusen eines Kanals, so dass Angreifer keine Chance hatten, in die Stadt zu gelangen.
Wohin Montaigne und seine Begleiter auch kamen, suchten sie Parks mit Brunnen und Wasserspielen auf und delektierten sich stundenlang an boshaften Albernheiten: Im Park der Fugger in Augsburg verdeckte ein Holzpfad zwischen zwei Fischteichen Messingdüsen, aus denen arglose Damen und Herren nassgespritzt wurden. Im selben Garten schoss auf Knopfdruck ein Wasserstrahl demjenigen ins Gesicht, der genau in die Richtung des Brunnens blickte. Der am Brunnen angebrachte lateinische Spruch lautete: «Du wolltest neckischen Schnickschnack? Freu dich doch – hier hast du ihn!» Montaignes Reisegesellschaft hatte ihren Spaß.
Große Kunstwerke scheinen Montaigne weniger beeindruckt zu haben, jedenfalls machte er nur gelegentlich Bemerkungen darüber: beispielsweise über Michelangelos Skulpturen in Florenz, die er als «Statuen von ungemeiner Schönheit» bezeichnete. Auch in den Essais finden sich kaum Äußerungen zur bildenden Kunst. Doch da er ein Zimmer seines Turms mit Fresken ausmalen ließ, muss er einen Bezug zur Malerei gehabt haben. Den Wunsch, darüber zu schreiben, hat er wohl nicht verspürt, auch wenn auf vielen Renaissancegemälden in Italien die Farbe noch kaum trocken war.
Manche Leser seines Reisetagebuchs warfen ihm denn auch vor, er sei von den Kunstschätzen Italiens nicht begeistert gewesen, insbesondere die Romantiker. Sie waren die Ersten, die seine Reiseaufzeichnungen lesen konnten, denn das Manuskript wurde erst im Jahr 1772 in einem Koffer auf Schloss Montaigne gefunden. Die Entdeckung war eine Sensation, doch viele Leser des ausgehenden 18. Jahrhunderts waren enttäuscht. Sie vermissten nicht nur eine angemessene Würdigung der Kunstwerke Italiens, sondern auch schwärmerisch begeisterte Äußerungen über die erhabene Schönheit der Alpen und melancholische Betrachtungen zu den Ruinen Roms. Stattdessen wurden sie mit detaillierten Schilderungen von Montaignes Harnstau und mit pikanten, alles andere als erhabenen Bemerkungen über die Gasthöfe, das Essen, technische Errungenschaften sowie Sitten und Gebräuche der besuchten Orte beschenkt. Auch folgende Notate von Montaignes Sekretär stießen auf wenig Begeisterung: «Das von Herrn de Montaigne am Dienstag getrunkene Wasser hatte ihm dreimaligen Stuhlgang verschafft.» Oder die Auskunft, dass er zwei Tage später das Trinken des Heilwassers fortsetzte, «das vorn wie hinten Wirkung zeigte». Und der Enthusiasmus der Leser hielt sich auch dann in Grenzen, als Montaigne selbst das Tagebuch weiterführte und kundtat, dass ein Nierenstein abgegangen war, «groß und lang wie ein Tannenzapfen, an einem Ende aber wies er eine Verdickung auf, die einer Eichel glich – um die ganze Wahrheit zu sagen: Er hatte haargenau die Form eines Schwanzes.» Das Einzige, was zumindest schweizerische und deutsche Leser goutieren konnten, waren Montaignes großzügige Komplimente über ihr Land, insbesondere sein Lob für die Kachelöfen und Feuerstellen in der Schweiz.
Die verhaltene Begeisterung dieser ersten Leser lieferte die Vorlage für die weitere Rezeption: Das Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland wurde als ein armer Verwandter der Essais angesehen. Gerade wegen ihrer Detailgenauigkeit sind diese Aufzeichnungen aber eine vergnüglichere Lektüre als die schwülstigen Reiseberichte der Romantik.
Ein anderer ansprechender Grundzug des Reisetagebuchs ist die Tatsache, dass der Sekretär uns ein Porträt Montaignes liefert, das sich mit dem selbstreflexiven Verfasser der Essais auf verblüffende Weise deckt. Der Leser erlebt einen Montaigne, der bestrebt ist, alle Vorurteile über andere Nationen abzulegen, wie man es von ihm erwarten durfte. Er wirkt begeistert und neugierig, manchmal aber auch egoistisch, wenn er seine murrenden Reisebegleiter an Orte schleppt, die ihnen nicht lohnenswert erscheinen. Es findet sich auch der implizite Hinweis, dass er zu viele langatmige Reden hielt, obwohl (oder vielleicht weil) ihn so etwas langweilte. In Basel wurde er an der Tafel mit einer «langen Ansprache begrüßt», die
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