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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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nach Blickwinkel. Jedenfalls war es derselbe Papst, der das blutige Massaker der Bartholomäusnacht mit einer Siegesmedaille und einem Freskenzyklus gefeiert hatte.
    Auf Schritt und Tritt wurde man daran erinnert, dass Rom die Stadt des Papstes war. Montaigne sah ihn oft, wie er Zeremonien durchführte und an Prozessionen teilnahm. In der Karwoche strömten Tausende Gläubige zur Peterskirche, Fackeln in der Hand und sich mit Stricken geißelnd. Einige dieser Büßer waren nicht viel älter als zwölf, dreizehn Jahre. Zwischen ihnen gingen Männer mit Wein, den sie den Büßenden zu trinken anboten. Etliche nahmen einen Schluck davon in den Mund und «spritzen es dann auf die Enden der Geißelstricke, die durch das gerinnende Blut immer wieder zusammenkleben». Dies sei «ein Rätsel, das ich nicht richtig verstehe», schrieb Montaigne. Die Büßer fügten sich blutige Wunden zu, dennoch schienen sie weder Schmerz zu empfinden noch ihr Tun ganz ernst zu nehmen. Sie gaben sich ihren Kasteiungen «ausgesprochen heiter oder zumindest mit derartiger Gelassenheit hin, dass sie sich dabei über ganz andre Dinge unterhalten und lachen oder auch plötzlich unbekümmert zu schreien, zu laufen und hin und her zu springen beginnen». Er vermutete, dass die meisten gegen Bezahlung stellvertretend für Reiche die Buße vollzogen. Das war ihm noch unverständlicher: «Warum sollten jene, die diese Ärmsten dingen, dies tun, wenn es sich nur um einen Firlefanz handelte?»
    Montaigne wurde auch Zeuge eines Exorzismus. Der Besessene, fast im Koma, wurde vor dem Altar festgehalten, während ihn der Priester mit Fäusten schlug, ihm ins Gesicht spuckte und ihn anschrie. An einem anderen Tag beobachtete er die Hinrichtung des berüchtigten Räubers und Banditen Catena, der unter anderem zwei Kapuzinermönche ermordet hatte. Offenbar hatte er versprochen, ihr Leben zuschonen, wenn sie Gott leugneten. Sie taten es und setzten damit ihr Seelenheil aufs Spiel, Catena tötete sie trotzdem. Montaigne hatte zwar schon viele Situationen erlebt, in denen der Besiegte um Gnade bat und der Sieger zu entscheiden hatte, ob er Gnade gewähren will, aber dieses Schauspiel erregte seinen heftigsten Unwillen: Catena selbst starb tapfer. Er ließ sich ohne einen Laut ergreifen und erdrosseln, dann wurde seine Leiche mit dem Schwert gevierteilt. Doch die Gewalt, die dem toten Körper angetan wurde, schien die Zuschauer mehr aufzuputschen als die Hinrichtung selbst, denn jeder Schwerthieb wurde von «Wehrufen und Aufschreien des Volks» begleitet. Für Montaigne eine unerklärliche Reaktion, verstörte ihn doch die Grausamkeit, die einem lebendigen Menschen angetan wurde, mehr als die Gewalt «an der leblosen Hülle».
    Die meisten humanistisch gebildeten Rom-Touristen des 16. Jahrhunderts kamen jedoch nicht um solcher Szenen willen hierher. Sie wollten dem Geist der Antike nachspüren, für den niemand empfänglicher war als Montaigne – schließlich war Latein die erste Sprache, die er gelernt hatte, und damit Rom seine Heimat.
    Allenthalben stießen Montaigne und sein Sekretär auf Spuren der antiken Stadt, auch wenn sie meist weniger in als hoch über den Fußstapfen der alten Römer wandelten. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich nämlich so viel Erde und Schutt angesammelt, dass die Fundamente um mehrere Meter höher lagen: Was von den antiken Bauwerken noch erhalten war, steckte in der Erde wie Stiefel im Schlamm. Montaigne staunte: «Und so läuft man tatsächlich fast überall auf dem oberen Rand des antiken Mauerwerks, das vom Regen […] zunehmend freigelegt wird.» Und weiter meinte er, oft sei sogar, «als man die Ausgrabungen vorantrieb, das Kapitell einer hohen Säule zum Vorschein gekommen, deren Fuß noch tief darunter in der Erde geruht» habe.
    Heute bietet sich dem Besucher ein anderes Bild. Archäologen haben die meisten Ruinen freigelegt, vieles wurde wieder aufgebaut. Der Triumphbogen des Septimius Severus zum Beispiel ragt heute hoch in den Himmel, zur Zeit Montaignes war nur dessen oberer Teil zu sehen. Das Kolosseum war damals eine Ansammlung von Steinen und völlig von Unkraut überwuchert. Vieles war durch mittelalterliche und frühneuzeitliche Bauten überdeckt, die auf den Ruinen errichtetworden waren und für die man altes Baumaterial wiederverwendet hatte. Manche Areale waren vollständig leergeräumt worden, um für triumphale Bauprojekte wie die nagelneue Peterskirche Platz zu schaffen. Die römische Geschichte lag also

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