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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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politisch behutsam taktieren. Er musste im Namen der Stadt Bordeaux bei den königlichen Behörden vorsprechen und umgekehrt die politischen Entscheidungen des Königs an die Schöffen und anderen Notabeln der Stadt übermitteln, von denen viele auf Konfrontationskurs gegangen waren.
    Sein Amtsvorgänger Arnaud de Gontault, Baron de Biron, hatte viele vor den Kopf gestoßen, deshalb zählte es zu Montaignes ersten Aufgaben, die Wogen zu glätten. Biron hatte streng, aber verantwortungslos regiert, er hatte Feindseligkeiten zwischen den Parteien geschürt und sich mit Heinrich von Navarra überworfen, dem mächtigen Fürsten der benachbarten Provinz Béarn, obwohl gute Beziehungen zu ihm unabdingbar waren. Selbst König Heinrich III. hatte an Birons offenkundigen Sympathien für die nach wie vor königsfeindliche katholische Liga Anstoß genommen. Montaigne war für seine Mäßigung und sein diplomatisches Geschick bekannt, Eigenschaften, die Biron völlig fehlten. Und obwohl Montaigne mit den verachteten politiques in Verbindung stand, kam er mit allen aus und hatte für jeden ein offenes Ohr. Seine pyrrhonischen Grundsätze verlangten es, «andersartige Meinungen leidenschaftslos» anzuhören, keine endgültigen Urteile zu fällen und dabei stets seine Integrität zu wahren.
    Dabei half es ihm, dass seine Jahre als Bürgermeister in eine Zeit des Friedens fielen. Zwischen 1580 und 1585 – dem Zeitraum zwischen Montaignes Reise und dem Ende seiner Amtszeit – ruhten die kriegerischenAuseinandersetzungen. Aber auch der Frieden war nicht einfach zu haben, da die – nur in Maßen gewährte – Toleranz gegenüber den Protestanten und ihrer Religionsausübung keine Seite zufriedenstellte. Bordeaux war eine geteilte Stadt. Etwa ein Siebtel der Bewohner bildeten eine protestantische Minderheit, das Umland war gleichfalls protestantisch, doch es gab auch eine mächtige Fraktion der katholischen Liga. Selbst in guten Zeiten war es schwierig, diese Stadt zu regieren, und es waren keine guten Zeiten – wenngleich auch nicht die schlimmsten, wie Montaigne sofort hinzugefügt hätte.
    In seiner Verantwortung lag es, den Frieden zu erhalten und dem Generalleutnant des Königs, Jacques de Goyon, Comte de Matignon, Loyalität zu zeigen. Matignon, ein erfahrener Diplomat und acht Jahre älter als Montaigne, muss ihn irgendwie an La Boétie erinnert haben. Sie wurden zwar keine engen Freunde, kamen aber gut miteinander aus. Sie konnten beide geschickt mit Extremisten umgehen, und sie waren prinzipienfest. Während der Massaker der Bartholomäusnacht hatte Matignon als einer der wenigen Amtsträger die Hugenotten in seinem Gebiet – Saint-Lô und Alençon – geschützt. Mit seiner ruhigen Entschlossenheit war er für die Guyenne in der damaligen politischen Situation genau der richtige Mann. Dasselbe galt für Montaigne, obwohl ihm zwei entscheidende Eigenschaften fehlten: Erfahrung und Begeisterung für das Amt.
    Montaigne war darauf bedacht, die Erwartung zu dämpfen, er sei genau wie sein Vater, der durch seine Amtsgeschäfte aufgerieben worden war, «indem er, Haushaltung und Gesundheit vergessend, die milde Luft seines Landsitzes […] immer wieder verließ». Auch Montaignes Reiselust blieb gedämpft, wenn er beruflich zu reisen gezwungen war. Er fuhr aber dennoch mehrfach nach Paris, zum Beispiel im August 1582, um die Bestätigung für die Privilegien zu erhalten, die Bordeaux nach dem Salzsteueraufstand jetzt endlich zurückerhielt. Gegen Ende seiner zweiten Amtszeit war er noch häufiger unterwegs. Dokumente belegen seinen Aufenthalt in Mont-de-Marsan, Pau, Bergerac, Fleix und Nérac. Auch pendelte er regelmäßig zwischen Bordeaux und seinem Schloss, von wo aus er viele seiner Amtsgeschäfte erledigen und an seinen eigenen Projekten weiterarbeiten konnte. Seine zweite, verbesserte Ausgabe der Essais erschien 1582, ein Jahr nach seinem Amtsantritt.
    Obwohl er in seinem Bürgermeisteramt nicht gerade aufging, muss er sich auf diesem Posten bewährt haben, denn er wurde am 1. August 1583 ein zweites Mal gewählt. Sein Stolz darauf ist unverkennbar, denn es war ein außergewöhnlicher Vorgang. «Bei mir war es der Fall, nach nur zwei früheren Beispielen.» Gegen seine Wiederwahl gab es allerdings Widerstand insbesondere seitens eines Rivalen, der selbst das Amt anstrebte: Jacques d’Escars, Sieur de Merville, Gouverneur des Fort du Hâ in Bordeaux. Montaigne ließ sich nicht verdrängen, was darauf hindeutet, dass er

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