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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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Wat, und fragt sich, wie wohl eine weitere Schicht D ausgesehen hätte. Hätte Montaigne noch dreißig Jahre gelebt, er wäre immer weiter so verfahren, bis das Buch tatsächlich unlesbar geworden wäre. Er war wie der Maler Frenhofer in Balzacs Erzählung Das unbekannte Meisterwerk , der sein Frauenporträt immer wieder umarbeitet, bis es nur noch ein undurchdringliches Gewirr aus Farben und Linien ist. Oder hätte Montaigne genau gewusst, wann es aufzuhören galt?
    Wir können diese Frage nicht beantworten, aber es scheint, als hätte er zum Zeitpunkt seines Todes nicht den Eindruck gehabt, er hätte diese Grenze erreicht. Aus seinen letzten Lebensjahren ist ein Exemplar der Essais mit zahlreichen Anmerkungen überliefert, das – nachdem es in die Hand der Herausgeberin seines Nachlasses geraten war – zur Grundlage fast aller weiteren Montaigne-Ausgaben wurde. Diese Herausgeberin war eine außergewöhnliche junge Frau, die in Paris in sein Leben trat, als er gerade die Ausgabe von 1588 abgeschlossen hatte: Marie de Gournay.

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Frage: Wie soll ich leben?
Antwort: Gib die Kontrolle auf!
Tochter und Schülerin
    Marie le Jars de Gournay, Montaignes erste bedeutende Herausgeberin, war äußerst begeisterungsfähig und emotional, und all diese Gefühle schleuderte sie Montaigne bei ihrer ersten Begegnung in Paris ungeniert entgegen. Sie wurde die bei weitem wichtigste Frau in seinem Leben, wichtiger als Ehefrau, Mutter und Tochter, jene übermächtige Trias, die in seinem Haus den Ton angab. Wie diese drei überlebte auch sie ihn: wenig überraschend, denn sie war zweiunddreißig Jahre jünger als er. Als sie sich kennenlernten, war Montaigne fünfundfünfzig und sie dreiundzwanzig.
    Marie de Gournay, 1565 geboren, hatte in vieler Hinsicht ähnliche Startbedingungen wie Montaigne, allerdings mit zwei entscheidenden Unterschieden: Sie war eine Frau, und sie war weniger begütert. Ihre Familie stammte aus dem niederen Landadel und lebte teils in Paris, teils auf dem Schloss und Landgut Gournay-sur-Aronde in der Picardie, das ihr Vater 1568 gekauft hatte. Als Erwachsene benannte sich Marie nach diesem Anwesen. Dieses Recht war traditionell den Söhnen vorbehalten, aber es war typisch, dass sie sich über solche Regeln hinwegsetzte. Sie war entschlossen, mehr vom Leben einzufordern, als Geschlecht und Status ihr zugestanden.
    Der Tod ihres Vaters im Jahr 1577, ein Schicksalsschlag für die ganze Familie, veränderte ihr Leben von Grund auf. Es fehlte an Geld, und da das Leben in Paris teurer war als in der Picardie, zog sich die Familie fast ganz aus der Hauptstadt zurück. Im Jahr 1580 war Maries Lebenskreis auf die Provinz beschränkt. Doch sie war ein eigensinniger Teenager und brachte sich mit Hilfe der Bücher aus der Familienbibliothekselbst eine Menge bei. Sie las lateinische Autoren mit Hilfe der französischen Übersetzung und schuf sich auf diese Weise ein Fundament humanistischer Bildung, so gut sie es eben konnte. Das Ergebnis war ein zusammengestückeltes, unsystematisches Wissen, aber die junge Frau war hochmotiviert.
    Dieser anarchische Bildungseifer hätte Montaigne gefallen, zumindest theoretisch. Denn in der Praxis kann man sich kaum vorstellen, dass er sich mit dem begnügt hätte, was Marie de Gournay sich aneignete. Montaigne konnte es sich leisten, sich über schulische Bildung geringschätzig und über die Ehrfurcht seines Vaters vor Büchern ironisch zu äußern; Marie jedoch war stolz auf das, was sie erreicht hatte, denn es war schwer erkämpft. Sie konnte leicht in die Defensive gedrängt werden und hatte oft das Gefühl, man lache sie aus. Natürlich, sagte sie, fänden die Leute es lustig, einer Frau zu begegnen,
    die den Anspruch erhebt, auch ohne formale Ausbildung zu lernen, weil sie sich rein mechanisch selbst Latein beibrachte, indem sie sich mit Übersetzungen neben dem Original behalf, und es deshalb niemals wagen würde, die Sprache zu sprechen, aus Angst, einen falschen Schritt zu tun – eine Gelehrte, die das Metrum eines lateinischen Verses nicht sicher bestimmen kann; eine Gelehrte ohne Griechisch und Hebräisch und ohne die Fähigkeit, die alten Autoren wissenschaftlich zu kommentieren.
    Diesen wütenden und gequälten Ton legte Marie ihr Leben lang nicht ab. In Peincture de mœurs , einem Selbstporträt in Versen, beschrieb sie sich als einen Wirrwarr aus Verstand und Gefühl, unfähig, ihre Emotionen zu verbergen. In ihren Schriften lebte sie dieses Dilemma aus.
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