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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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so ähnlich klang wie foutre , «ficken». Das arglose Mädchen dachte sich nichts dabei, aber die Gouvernante hieß sie «diese vermeintlich schlüpfrige Stelle überspringen». Montaigne fand, das war falsch. «Ein sechsmonatiger Umgang mit zwanzig Lakaien», bemerkte er, hätte «die Bedeutung und Verrichtungsweise sowie alle Folgen der von diesen vermaledeiten zwei Silben nahegelegten Tätigkeit der Vorstellung meiner Tochter nicht so fest einprägen können, wie es die gute Alte mit ihrem Verweis und Verbot getan hat.» Doch er schwieg.
    Er schrieb, Léonor sehe jünger aus, als sie tatsächlich sei, auch noch in heiratsfähigem Alter; sie sei von «zarter, schwächlicher Konstitution und in der Entwicklung zurückgeblieben». Die Schuld daran gab er seiner Frau, die seiner Ansicht nach das Kind zu sehr abgesondert habe. Aber Montaigne war auch bestrebt, Léonor eine unbeschwerte Erziehung ohne Zwang angedeihen zu lassen, wie er sie selbst genossenhatte. Er habe sich mit seiner Frau darauf geeinigt, schrieb er, Léonor nur mit Worten zu bestrafen, mit «sehr milden obendrein».
    Trotz seiner Behauptung, er hätte mit der Erziehung seiner Tochter wenig zu tun gehabt, vermitteln uns andere Passagen der Essais ein Bild Montaignes en famille . Er beschreibt gemeinsame Kartenspiele – «Ich spiele Karten um Pfennige und rechne darüber ab, als wären es Taler» – und Scharaden. «Gerade erst haben wir uns zu Hause mit dem Spiel beschäftigt, wer die meisten Dinge zu finden wisse, in denen die äußersten Gegensätze zusammentreffen»: zum Beispiel Sire als Titel für den König und Anrede für einfache Kaufleute oder Dames für Frauen von hohem Adel und aus den untersten Schichten. Hier tritt kein kalter, distanzierter Montaigne in Erscheinung, kein Frauenverächter, der auch Kindern keine Aufmerksamkeit schenkt, sondern ein Familienmensch, der sich redlich bemühte, in einem Haus voller Frauen, die ihn ohnehin meist eher missbilligten, die Rolle des liebenswerten Patriarchen zu spielen.
Praktische Verantwortung
    Missbilligung hatte Montaigne manchmal durchaus verdient. Er war, wie er selbst zugab, in der Führung des Anwesens keine große Hilfe und überließ die Bewirtschaftung der Güter am liebsten seiner Frau, die, wie seine Mutter, sehr viel praktischer veranlagt war als er. Er war froh über Françoises Bereitschaft, diese Aufgaben zu übernehmen, wenn er auf Reisen war oder seinen beruflichen Verpflichtungen nachkam. War er zu Hause, musste er sich selbst um das Gut kümmern – wohl ein Hauptgrund dafür, dass er so gern unterwegs war. «Es ist kläglich, an einen Ort gestellt zu sein, wo einem alles, was man sieht, zu schaffen macht, weil es einen betrifft», schrieb er.
    Die Sorge für das Anwesen belastete ihn. «Es gibt ja immer etwas, das schiefgeht», klagte er. Die Haupteinnahmequelle war der Weinanbau. In einem guten Jahr produzierte das Gut Montaigne mehrere zehntausend Liter Wein. Aber es gab auch schlechte Jahre. Schwere Unwetter zerstörten die Ernte der Jahre 1572, 1573 und 1574, als Montaigne seine ersten Essais schrieb. Im Jahr 1586 durchstreiften Soldatenplündernd die Gegend und richteten schwere Verwüstungen an. Um seinen Wein mit größerem Gewinn direkt in Bordeaux (statt über den Umweg der Verschiffung nach Libourne) zu verkaufen, nutzte er seinen Einfluss im dortigen Parlament. Notfalls wusste er sich also durchaus zu helfen. Grundsätzlich jedoch blieben ihm Haushaltung und Wirtschaftsführung ein Buch mit sieben Siegeln. Er selbst gab zu, den Vorgang der Weingärung erst spät in seinem Leben begriffen zu haben.
    Montaigne tat, was nötig war, gestand aber, dass es ihm keinen Spaß machte, weshalb er sich auf das Minimum beschränkte. Folglich engagierte er sich auch nicht für den Ausbau und die Erweiterung des Anwesens. Sein Vater Pierre hatte solche Projekte als eine Herausforderung betrachtet, auch wenn die Hälfte von dem, was er in Angriff nahm, unvollendet blieb. Montaignes Devise dagegen lautete: «Lasst mir möglichst meine Ruhe» oder «Was nicht kaputt ist, muss man nicht reparieren».
    Unumgängliche Probleme packte er dennoch an. «Bei Anstrengungen halte ich gut durch», schrieb er, «freilich nur dann, wenn ich sie aus eignem Entschluss auf mich nehme, und nur so lange, wie ich Lust dazu habe.» Er hasste es, Dinge tun zu müssen, die ihn langweilten. In den achtzehn Jahren, in denen er seine Güter bewirtschaftete, habe er es, wie er schrieb, noch nie über sich

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