Wie Tau Auf Meiner Haut
überwachen. Politisch die Macht an sich zu
reißen wäre noch nicht einmal notwendig, solange die Politiker nach der Pfeife
der Geldgeber tanzten. Die Medien, das Bankwesen, der Handel - wenn man
diese drei Bereiche kontrollierte, hatte man die ganze Welt im Griff. Weltmacht
definierte sich nicht über militärische Siege, sondern über wirtschaftlichen
Einfluss.
Die Welt zu regieren war eine merkwürdige Zielvorstellung, die nur einer
größenwahnsinnigen Persönlichkeit einleuchten würde. Ungewöhnlich war jedoch,
dass so viele dieser Männer der Stiftung beigetreten waren. Denn von ihrer
Persönlichkeit her würde jeder der Männer annehmen, er könnte alle anderen
durch seine Intelligenz und seine Schlauheit ausstechen. Aber sie alle hatte man
einbeziehen können, und jeder von ihnen diente der Stiftung im Glauben daran,
eigentlich seine eigenen Interessen zu vertreten.
Die Stiftung des Bösen.
Hitler und Stalin waren ganz offenkundig bösartig gewesen. Ihre verkorksten und
gewissenlosen Seelen hatten sie aller Welt offenbart. All die anderen
aufgeführten Leute erschienen ihr normal, obwohl sie an Parrishs Beispiel gelernt
hatte, wie irreführend die äußere Erscheinung sein konnte. Diese Menschen
hatten grenzenlose Macht und Ehrgeiz auf ihr Banner geschrieben und ihre
Handlungen von der Stiftung lenken lassen. Machten sie sich die Stiftung zunutze
oder verhielt es sich genau umgekehrt?
Was war das Wesen des Bösen? Welche Maske trug es? Trug jeder Mensch
grundsätzlich die Fähigkeit zu Bösem in sich, nur dass es wie ein Samen an
mancher Stelle aufging, an anderer Stelle jedoch nicht? Oder war das Böse
etwas, das von außen auf die Menschen zukam? War das Böse eine in sich
abgeschlossene Angelegenheit oder nur das Resultat gewisser Handlungsweisen?
War die Stiftung bösartig, weil bösartige Menschen ihr dienten, oder war sie an
und für sich bösartig? Hatte die Stiftung in irgendeiner anderen Form bereits
länger als zweihundert Jahre existiert?
Wann hatte man die Aufgabe eines Schatzhüters erstmalig zugeteilt? Hatten die
Tempelbrüder die Aufgabe ursprünglich geschaffen, oder hatten sie sie lediglich
zu erfüllen versucht? War der Orden von den Dienern der Stiftung zerstört
worden? Die Motive von Philipp IV. und Papst Clemens V., nämlich Habgier, Neid
und Machthunger, waren in der Tat ganz einsichtig.
Das Böse.
In der Stille der Morgendämmerung tigerte Grace rastlos im Zimmer auf und ab
und fragte sich, ob sie vielleicht verrückt wurde oder ob sie tatsächlich gegen
niemand Geringeres als den Teufel kämpfte.
Gerade als sie sich selbst für verrückt erklären wollte, rief sie sich die gälischen
Dokumente ins Gedächtnis. »Das Böse soll den Namen Parrish tragen. « Und:
»Im Jahre 1945 unseres Herrn erschlug der Schatzhüter die deutsche Bestie. «
Dies war sechshundert Jahre vorher geschrieben worden, und daneben stand die
Anweisung, wie man eine Zeitreise ausführte. Entweder waren die Dokumente
Meisterstücke der Weissagung, oder die Tempelbrüder hatten das Geheimnis der
Zeitreise tatsächlich gekannt. Vielleicht war das ja auch die Erkenntnis, derer
sich die Stiftung bemächtigen wollte: der Zeitreise! Damit standen einem endlose
Möglichkeiten offen. Man konnte in der Geschichte zurückgehen und Kapital
daraus schlagen, dass man auf einem ganz anderen Wissensstand war. Man
konnte beispielsweise eine Wette gegen alle Wahrscheinlichkeit abschließen, dass
die Titanic sinken würde, oder man investierte vor dem Zweiten Weltkrieg in die
Rüstungsindustrie. Allein zu wissen, wer bei einem Fußballspiel gewinnen würde,
konnte einen schon unglaublich reich machen. Den Möglichkeiten waren keine
Grenzen gesetzt: Man konnte eine Lebensversicherung für jemanden
abschließen, der bald sterben würde, man konnte die Ergebnisse der Lotterien,
der Pferderennen und der politischen Wahlen voraussehen.
Andererseits schien es, als ob der Schatzhüter die Zeitreise dazu benutzt hatte,
diese Fähigkeit zu schützen, so dass sie immer noch unbekannt war.
Draußen wurde es schließlich hell, und sie blickte durch ihr kleines Fenster in die
Dämmerung hinaus. Ein vernünftiger Mensch würde sich krank melden und zu
schlafen versuchen, Grace aber duschte und trank eine Tasse Kaffee. Sie fühlte
eine innere Unruhe, die nicht vom Koffein herrührte, und einen wachsenden
Tatendrang, als ob sie gleich etwas tun würde, im Moment aber noch
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