Wie Tau Auf Meiner Haut
bisher
keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Das Blatt lag auf dem Tisch. Conrad hatte es sich auch noch nicht angesehen,
aber sein Blick wanderte immer wieder dorthin zurück. Nach der monatelangen
Suche sowohl nach Grace als auch nach den Dokumenten war ihnen nun endlich
ein Blatt davon in die Hände gefallen. Konnte ein einziges Blatt überhaupt
irgendwelche Aufschlüsse geben? Dennoch zog es Conrad magisch an. Er konnte
nicht anders, als es ständig mit einer Mischung aus Erwartung und Angst
anzusehen.
Endlich schien Parrish zu merken, dass sein Wutanfall keinerlei Eindruck machte.
Er folgte Conrads Blick und hob das Blatt Papier auf. »Was ist das denn? «
»Das ist Paglione in die Hände gefallen«, erwiderte Conrad. »Es kam aus ihrem
Wagen geflattert. «
»Ein paar ihrer Notizen«, bemerkte Parrish nachdenklich. Er ging zum
Schreibtisch und knipste die Lampe an. »Die Sprache kenne ich nicht. >C-u-n-b-
h-a-l-c-h< bedeutet >ständig<, >c-u-n-b-h-a-l-a-c-h-d< bedeutet >Urteil<. Gut zu wissen. Dies ist doch alles unsinniges Geschreibsel, vermutlich ist es ohnehin
verschlüsselt geschrieben. >Creag Dhu< - dafür hat sie keine Übersetzung
notiert. Dann ist da noch >Angst< und daneben >gleidhidh<. Das sieht aus wie walisisch, nur ohne die Ys und Ws. «
Conrad schwieg, aber seine ahnungsvolle Angst verstärkte sich. Er starrte auf
das Papier, während sein Herz klopfte und der Schmerz durch seine Schulter
jagte. Vielleicht hatte er ja doch mehr Blut als erwartet verloren, vielleicht würde
er jetzt tatsächlich ohnmächtig werden.
Parrish beugte sich schweigend über das Blatt. Er war ein gebildeter, weit
gereister Mann. Und die Sprache kam ihm bekannt vor.
»Es ist gälisch«, stellte er schließlich mit leiser Stimme fest. »Es ist gar nicht
verschlüsselt. Dhu heißt >schwarz<. Und creag heißt >Stein< oder >steinig<.
>Schwarzer Stein<. « Plötzlich sprang er mit zusammengekniffenen Augen auf.
»Ruh du dich erst einmal aus, Conrad. Ich werde das hier übersetzen lassen.
Diese eine Seite von Grace könnte genau der Durchbruch sein, auf den ich
gewartet habe. «
Kapitel 17
Eines ihrer Notizblätter war ihr aus dem Auto gefallen. Mit verkrampftem Magen
musste sie ständig daran denken. Sie hatte einen sehr groben Fehler begangen.
Vorsichtig fuhr sie durch die schneebedeckte, nächtliche Landschaft Iowas. Sie
war sich nur zu bewusst, dass sie vollkommen übermüdet war und nur noch
ihren Instinkten folgte. Sie hätte schlafen sollen, aber sie konnte sich nicht zum
Anhalten zwingen. Ihr Gefühl sagte ihr, sie sollte unbedingt weiterfahren.
Sie hatte ein Blatt verloren. Zwar war es nur eines ihrer Notizblätter und nicht
eines der Dokumente, sie konnte sich jedoch deutlich an die Worte »Creag Dhu«
erinnern, als sie danach hatte greifen wollen. Würde einer der Männer es vom
Boden aufgehoben haben? Mit ziemlicher Sicherheit sogar, schließlich hatten sie
nicht nur sie, sondern auch die Dokumente im Visier.
Nun hatte sie Parrish das Versteck des Schatzes verraten, und er musste nur
noch herausfinden, wo dieser Ort lag. Sie musste davon ausgehen, dass er
genau das tun würde, schließlich war die Stiftung auf Archäologie spezialisiert.
Parrish hatte Zugang zu jeder alten Landkarte, zu vielen alten Aufzeichnungen
und Hinweisen. Er würde bald wissen, dass Creag Dhu im vierzehnten
Jahrhundert eine Burg gewesen war. Mit etwas Mühe konnte er den genauen
Standort herausfinden. Er würde die enormen Ressourcen der Stiftung dazu
einsetzen, die Burg archäologisch ausgraben zu lassen - und so den Schatz
finden.
Und das war alles ihre Schuld! Wieder und wieder ging ihr ihr Fehlverhalten
durch den Sinn. Sie hatte Ford und Bryant im Stich gelassen, indem sie Parrish
genau das Geheimnis verraten hatte, für das die beiden sterben mussten.
Niall hatte sie ebenfalls verraten.
Sie hätte etwas tun müssen, sie hätte die beiden Männer niederschießen und
dem Blatt hinterher rennen sollen. Aber sie hatte nur ihre Flucht und ihr eigenes
Überleben im Sinn gehabt. An das fehlende Blatt Papier hatte sie sich erst
erinnert, als sie bereits im Bundesstaat Iowa war. Sie hatte einen Mann
angeschossen. Sie hatte Mattys Ratschläge immerhin so gut befolgt, dass sie
etwas hatte tun können und nicht einfach nur vor Schreck erstarrt auf eine
glückliche Schicksalswendung gewartet hatte. Vor acht Monaten hatte sie noch
nicht einmal die leiseste Ahnung vom Umgang mit einer
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