Wie Tau Auf Meiner Haut
vergangen, in denen sie diese Worte nicht mehr gehört
hatte. Sie umklammerte den Hörer so fest, dass ihre Knochen weiß
hervorstachen und das Plastik knirschte. »Danke«, flüsterte sie. »Ich liebe dich
auch. Du bist ein ganz wunderbarer Mensch.« Damit legte sie behutsam den
Hörer auf die Gabel zurück und presste den Kopf an die Wand. Der Fernfahrer
neben ihr verabschiedete sich mehrmals mit »Ich liebe dich« und »Ich werde
vorsichtig sein«. Dann legte er auf und blickte sie an.
Eine fleischige Pranke klopfte ihr erstaunlich sanft auf die Schulter. »Nicht
weinen, Kleines«, tröstete er sie. »Du gewöhnst dich daran. Wie lange fährst du
denn schon? « Er ging davon aus, dass sie Fernfahrerin war. Ihr Staunen
überlagerte alle anderen Gefühle. Sah sie denn aus wie eine Fernfahrerin? Sie,
der Inbegriff einer Gelehrten?
Sie blickte zu Boden. Er trug Stiefel, sie trug Stiefel. Er hatte Jeans an, sie hatte
Jeans an. Beide hatten sie sich Baseballmützen über die Haare gestülpt.
Sie sah wie eine Fernfahrerin aus.
Sie war so müde und ihr war so schwindelig, dass ihr alles unwirklich vorkam.
Zum ersten Mal seit acht Monaten musste sie lächeln. Nicht ganz lachen, aber
allein der Impuls überraschte sie. Sie unterdrückte ihn jedoch, räusperte sich
und sah zu Paul Bunyan auf. »Seit acht Monaten. Ich fahre seit acht Monaten.«
Wieder klopfte er ihr auf die Schulter. »Nun, es wird noch ein Weilchen dauern.
Es ist schon hart, immer so weit von der Familie entfernt zu sein. Aber die
Sachen müssen transportiert werden, und manche zahlen dafür. Also machen wir
den Job, nicht wahr? «
»Klar, machen wir«, wiederholte sie. Sie nickte ihm zu und ging zu ihrem
»Laster« zurück. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht mitbekam, wie sie mit
einem ganz gewöhnlichen Kleintransporter wegfuhr und nicht in einem von
diesen rasselnden Riesen. Sie wollte seine Illusionen wirklich nicht zerstören.
Der Schnee fiel jetzt noch dichter. Immer mehr Laster fuhren von der Autobahn
ab, um in der nächsten Raststätte die Nacht zu verbringen. Nebenan war ein
kleines, heruntergekommenes Hotel, in dessen Fenster noch das Schild »Zimmer
frei« leuchtete. Grace entschied sich gegen eine Weiterfahrt. Sie wollte ein
Zimmer mieten, ehe all die eben angekommenen Fahrer es ihr wegschnappen
würden.
Das Zimmer war genauso mies, wie man es von außen erwartet hätte. Der
Teppich war alt und fleckig, die Wände waren braun, das Bettzeug war braun,
und die Kloschüssel war ebenfalls braun - hätte es allerdings nicht sein sollen.
Aber die Heizung funktionierte, die Badezimmerarmaturen ebenfalls, und mehr
verlangte sie nicht.
Sie steckte die Pistole in ihren Hosenbund, holte ihre Kleidung für den nächsten
Tag hervor und nahm die Computertasche an sich. Sollten die restlichen Sachen
im Auto nicht sicher sein, so konnte sie nur hoffen, dass der Dieb klein genug
wäre, um sie auch zu tragen. Sie jedenfalls hatte nicht mehr die Kraft, die
ganzen Sachen noch bis ins Zimmer zu tragen.
Sie zog sich aus, dann lud sie die Pistole. Ihre Hände zitterten, als sie die
Patronen einschob. Sie verstaute die Waffe unter ihrem Kopfkissen, ließ sich auf
das wackelige Bett fallen und war augenblicklich eingeschlafen.
Und sie träumte.
»Und so kam Grace nach Creag Dhu.«
Nialls Federkiel kratzte über die Seite. Er unterschrieb, dann wandte er sich ihr
zu. »Nun, mein Mädchen, das wird dich zu mir bringen.« Er musterte sie
aufmerksam, zunächst die Füße, dann hielt er an den Hüften und den Brüsten
inne, ehe er ihr Gesicht betrachtete. Sie hielt den Atem an, da sie nur zu gut
wusste, was dieser Blick bedeutete. Er war der sinnlichste Mann, der ihr jemals
begegnet war. Und die Herausforderung seines feurigen Appetits erweckte auch
ihre Sinnlichkeit. Sie spürte, wie sich ihr Körper ihm entgegenreckte. Er wurde
warm, ihre Knospen richteten sich auf, und ihre Wangen glühten. Diese
Veränderung war auch ihm nicht entgangen. Seine sonst angespannten Lippen
wurden weich. Er ließ den Gänsekiel auf den Tisch fallen und drehte den hohen
Holzstuhl zu ihr herum. Dann streckte er die Hand nach ihr aus. »Ich will nicht
noch siebenhundert Jahre warten«, sagte er leise. »Ich will dich jetzt.«
Grace eilte die fünf Schritte auf ihn zu und streckte die Hände aus, um sie in
seinem seidigen Haarschopf zu verbergen. Er hob den Kopf, und seine Lippen
bedeckten ihren Mund. Niemand konnte so küssen wie
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