Wie Tau Auf Meiner Haut
betete
kurz, dass sie ihm keinen bleibenden Schaden zufügen möge, dann hob sie mit
beiden zitternden Armen den Kerzenleuchter.
Ihre Kleidung raschelte. Der Wachposten bewegte sich etwas, öffnete die Augen
und blinzelte sie an. Dann klappte sein Mund auf, und Grace ließ das massive
Metall auf die eine Seite seines Kopfes niederschmettern. Das Geräusch ließ sie
rasselnd Atem holen. Wenn er etwas hatte sagen oder Alarm auslösen wollen, so
hörte man jetzt nur noch ein dumpfes Knurren. Er fiel zur Seite und schloss die
Augen.
Blut rann ihm in die verfilzten Haare. Er war viel jünger, als sie das vermutet
hatte, keine zwanzig Jahre alt. Seine verdreckten Wangen zeigten noch kindliche
Rundungen. Tränen schossen ihr in die Augen. Dann aber wandte sie sich abrupt
ab. Die Erfordernisse der Stunde drängten jede Reue beiseite.
Von den drei Zellen war nur eine verriegelt. »Niall! « flüsterte sie und wollte den
eisernen Riegel wegschieben. Wie sollte sie mit ihm reden? Heute hatte sie
gelernt, dass gälisch für sie eine Unmöglichkeit war. Da er jedoch ein
Tempelbruder war, würde er sicher französisch sprechen. Sie konnte sowohl
Altenglisch als auch Altfranzösisch gut sprechen, aber Latein war die Sprache, die
sich in all der Zeit nie verändert hatte. Also wählte sie Latein.
»Ich bin gekommen, um dich zu befreien«, sagte sie leise, während sie sich mit
dem Riegel abmühte. Himmel, war der schwer! Es kam ihr vor, als ob sie mit
einem zwei Meter langen und dreißig Zentimeter dicken Baumstamm kämpfen
musste. Sie rutschte an dem Holz aus, und ein Splitter drang tief in ihren kleinen
Finger. Grace stieß unwillkürlich einen Schmerzensschrei aus und zog die Hand
zurück.
»Hast du dich verletzt? «
Die Frage wurde in einer tiefen, ruhigen, leicht schnarrenden Stimme gestellt.
Sie war so dicht an ihrem Ohr, dass er direkt auf der anderen Seite der Tür
stehen musste. Grace erstarrte. Sie schloss die Augen und kämpfte einmal mehr
gegen die Tränen an. Eine Gefühlswelle drohte sie zu überfluten. Es war wirklich
der Schwarze Niall. Und bei Gott, er klang genauso, wie er auch in ihren
Träumen geklungen hatte. Die Stimme war wie Samt und Donner. Sie war zu
röhrendem Brüllen fähig, das den Feind verschreckte, aber auch zu einem
warmen Schnurren, das die Frau in seinen Armen dahinschmelzen ließ.
»Nur... nur ein ganz klein wenig«, brachte sie mit zitternder Stimme hervor. Sie
versuchte sich an die richtige Bezeichnung zu erinnern. »Ein Splitter... der Riegel
ist sehr schwer, er ist mir ausgerutscht.«
»Bist du allein? « Jetzt schien er besorgt. »Der Riegel ist für eine Frau zu
schwer.«
»Ich werde es schaffen! « entgegnete sie wütend. Für eine Frau? Was verstand
er denn davon? Sie hatte ein ganzes Jahr auf der Flucht überlebt, sie hatte es
gegen alle Widerstände bis hierher geschafft, und abgesehen davon war sie
diejenige, die auf der anderen Seite der Tür in Freiheit herumlief. Wut mischte
sich mit Euphorie und drohte sie zum Platzen zu bringen. Sie wollte schreien, sie
wollte etwas zerschlagen, sie wollte tanzen. Statt dessen aber wandte sie dem
Riegel wieder ihre ganze Aufmerksamkeit zu.
Sie konnte ihn mit den Händen allein nicht bewegen, also bückte sie sich,
klemmte ihre Schultern darunter und stemmte ihn mit aller Kraft nach oben.
Der Riegel fraß sich in ihre Schulter und hätte sie fast einknicken lassen. Sie biss
die Zähne zusammen, konzentrierte sich auf ihre Beine und versuchte es noch
einmal. Sie fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss, ihr Herz und ihre Lunge
arbeiteten, und ihre Knie zitterten. Verflucht, sie würde es diesem verdammten
Stück Holz nicht erlauben, sie zu besiegen. Nicht nach allem, was sie hinter sich
hatte!
Sie ließ sich nicht unterkriegen und sammelte all die verbliebenen Kräfte ihres
geschundenen Körpers für einen letzten Vorstoß. Ihre Schenkel schmerzten, und
ihr Rücken brannte. Verzweifelt presste sie nach oben und drückte langsam die
Beine durch. Das eine Ende des Riegels schob sich zögernd, Zentimeter für
Zentimeter, nach oben. Dann rutschte das Holz wieder etwas zurück, Grace
drückte es aber weiter nach oben, bis es sich auf der anderen Seite ebenfalls aus
der Halterung schob. Das grobe Holz schürfte an ihrer Wange und riss an ihren
Kleidern. Mit beiden Händen und ohne Rücksicht auf Geräusche schob sie den
Riegel aus der Halterung.
Aber er glitt nicht einfach durch die
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