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Wie Tau Auf Meiner Haut

Titel: Wie Tau Auf Meiner Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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Hotels absuchen, den Leuten von der Rezeption wäre sie
    sicherlich aufgefallen. Nur dieses eine Mal musste sie baden und ihre Wäsche
    waschen, ohne gesehen zu werden. Danach würde sie wieder respektabler
    aussehen. Dann würde sie in ein Waschcenter gehen und ihre Kleidung waschen
    können, sie würde in Läden gehen und die Sachen einkaufen können, die sie für
    ihre Tarnung benötigte, bevor sie in das große Meer der Normalität eintauchen
    konnte.
    Eigentlich hätte sie sich beim Duschen beeilen sollen, dennoch trödelte sie. Unter
    dem Wasserstrahl stehend, spürte sie, wie der Dreck von ihr abspülte, sie fühlte,
    wie ihr fettiges Haar durch das Wasser wieder weich wurde. Sie wusch ihre Haare
    zweimal und schrubbte ihre Haut so lange, bis sie am ganzen Körper gerötet war.
    Aber noch immer wollte sie die Dusche nicht verlassen. Sie blieb auch dann noch
    darunter stehen, als das heiße Wasser kalt wurde. Sie drehte den Wasserhahn
    erst ab, als sie zu frösteln begann, denn gefroren hatte sie jetzt schon drei Tage
    lang und war es mittlerweile leid. Sie empfand eine solche Erleichterung darüber,
    wieder sauber zu sein, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Fast, denn
    aus irgendeinem Grund wollten die Tränen nicht kommen. Hatte sie Fords oder
    Bryants wegen geweint? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Sie hatte noch jede
    Menge glasklarer Erinnerungen an jene Nacht, aber an Tränen konnte sie sich
    nicht erinnern. Sicherlich hatte sie geweint. Aber wenn nun nicht... wenn sie
    nicht geweint hatte, dann konnte sie jetzt nicht wegen etwas so Nichtigem wie

    der eigenen Sauberkeit in Tränen ausbrechen. Wegen einer solchen Nichtigkeit
    zu weinen würde sie in unerträglicher Weise beschämen.
    Sie rubbelte sich mit dem Handtuch trocken und band sich dann das feuchte
    Tuch um die Haare. Sie wollte die unfreiwillige Gastfreundschaft der
    Hauseigentümer nicht mehr als unbedingt nötig strapazieren, und zwei
    Handtücher zu benutzen wäre ein echter Luxus gewesen. Aufgeregt zog sie den
    Reißverschluss ihres Seesacks auf und holte ihre neuen Kleider hervor. Die Jeans
    und der Pullover waren stark zerknittert, die Baumwolljacke weniger. Grace zog

die Plastikfolie von ihrem Küchenmesser herunter und testete dessen Schärfe, als
    sie die Preisschilder von ihren Einkäufen abschnitt. Das Messer glitt locker durch
    die Plastikschlaufen.

    Kapitel 7

    Nachdenklich betrachtete sie die glänzende Klinge. Nicht übel.
    Sie warf die Kleidung in den Trockner, um die Knitterfalten herauszubekommen.
    Derweil bürstete sie sich die Zähne. Ein wenig irritiert betrachtete sie sich im
    Spiegel. Irgendwie sah sie anders aus, und das lag nicht nur an ihrem
    abgespannten Gesichtsausdruck. Die Blässe und die Ränder unter ihren Augen
    hatte sie erwartet. Nein, es war irgend etwas anderes, etwas, das sie nicht so
    recht benennen konnte. Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich den
    anstehenden Dingen zu. Ihr langes Haar brauchte eine Ewigkeit, bevor es
    trocken wurde, also benutzte sie den Fön, der neben dem Waschbecken lag. Ihr
    schwerer Zopf war zu auffällig. Sie musste sich die Haare abschneiden. Sie wollte
    schon eine Schere suchen, beließ es aber vorerst nur bei dem Gedanken. Ford
    hatte ihr langes Haar geliebt, hatte damit gespielt... Ihr Schmerz war so heftig,
    als habe sie jemand vor das Brustbein getreten. Sie sank gegen die Wand und
    biss die Zähne gegen ihr herzzerreißendes Stöhnen aufeinander, während ihr
    Körper sich zusammenkrümmte. O mein Gott, o mein Gott.
    Sie spürte, wie sie innerlich zerbrach. Der Verlust war so überwältigend, dass sie
    ganz sicher nicht würde weiterleben können. Vermutlich würde ihr Herz vor
    Verzweiflung einfach stehen bleiben. Außer dem unbändigen Verlangen nach

    Rache an Parrish hatte sie keinen Grund mehr, weiterzuleben. Ihr Herz jedoch,
    dieser starke Muskel, stellte sich ihrem Leid gegenüber blind und vollführte
    weiterhin ohne jede Unterbrechung seine Aufgabe.
    Nein. Nein. Sie dufte das nicht tun. Trauer war ein Luxus, den sie sich nicht
    leisten konnte. Sie hatte von Anfang an gewußt, dass die Trauer sie zerreißen
    würde. Sie musste sie so lange aufschieben, bis sie mit Parrish fertig war. Dann
    würde sie an Ford und an Bryant denken und sagen: »Ich habe ihn nicht
    ungeschoren davonkommen lassen. «
    Sie atmete zitternd ein und richtete ihren malträtierten Körper auf. Die Qual war
    so unmittelbar und so heftig, dass sie bis in ihre Muskeln

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