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Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Titel: Wie Viel Bank Braucht der Mensch? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fricke
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unter 100 Prozent – was in etwa der theoretischen Annahme entspricht, dass es für jeden Netto-Zuwachs vorab entsprechende Kredite braucht. Zweieinhalb Jahrzehnte später lag die Quote immer noch dort. Mehr noch: Selbst als die Finanzglobalisierung neue Möglichkeiten schuf, sich Geld zu besorgen, begannen die Unternehmen nicht übermäßig mehr Kreditnachfrage zu entwickeln. Bis Mitte der 2000er Jahre lag die Rate gemessen am Bruttoinlandsprodukt immer noch bei 100 Prozent – und das, obwohl es durch die Finanzliberalisierung für Unternehmen doch angeblich einfacher werden sollte, sich extern zu finanzieren.
    Wenn es einen Kreditboom gab, dann nur innerhalb der Finanzbranche. Zu Hochzeiten der Regulierung Anfang der 50er Jahre lag der Anteil dieser leicht inzestuösen Kredite bei nicht einmal 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Selbst 1980 waren es nach Bezemers Rechnungen noch deutlich unter 80 Prozent. Die 100er Marke wurde übertroffen, kurz nachdem Ronald Reagan 1982 die Kreditvergabe der Banken »entfesselte«. Ende der 90er Jahre waren es schon 150 Prozent, Ende der 2000er Jahre dann irgendwann 250 Prozent der Wirtschaftsleistung. Da hatte sich die relative Schuldenlast innerhalb des Finanzsektors 1950 glatt verfünffacht (die absoluten Zahlen in Dollar sind natürlich noch viel höher) – allein für Kredite, die Banken an Banken vergaben, oder an Immobilienkäufer. Nicht an Unternehmen.
    Ein umwerfender Befund: Wenn die Schulden in den USA Ende der 2000er Jahre viermal höher lagen als die Wirtschaftsleistung, ist das einzig und allein dem Zauber innerhalb der Bankenszene geschuldet. Der viel zitierte Kredit- und Schuldenboom der vergangenen drei Jahrzehnte entpuppt sich als eine Art Innenproblem der Finanzbranche – als Ergebnis einer Spirale, in der mit Krediten Vermögenswerte getrieben wurden, was die Werte steigerte und damit auch die Schulden und so weiter. Weil jedem Vermögenszuwachs entsprechend zusätzliche Verbindlichkeiten, also Schulden, bei jemand anderem gegenüberstehen. Der Vermögenszauber ist zugleich auch ein Schuldenzauber.
    All das gilt aber nicht nur für die USA. In Deutschland waren zur Zeit des Ausbruchs der Finanzkrise 2007 rund 40 Prozent aller Schulden solche, die Banken bei anderen Banken hatten. Atemberaubend.
    Inzestuöser Kreditboom
    Verschuldung be US-Banken nach Schuldnern in % des Bruttoinlandsprodukts

    * Finanzinstitute, Versicherungen, Immobilien
    Quelle: Bezemer
    Der Befund hat es gleich mehrfach in sich: Wenn das Drama des Kreditbooms einzig und allein ein Phänomen innerhalb der Finanzbranche ist, lässt sich umso mehr zweifeln, ob das Problem durch billige Zinsen ausgelöst wurde – und mit höheren sinnvoll zu bekämpfen wäre, wie es Liquiditätskritiker, Bankenvorstände und Sparkassenchefs seit Ausbruch der Krise propagieren.
    Wenn das stimmen würde, hätten dank Billiggeld auch die realen Investitionen expandieren und die realwirtschaftlich orientierten Kredite irgendwann boomen und überhitzen müssen. Das Gegenteil war bekanntlich der Fall. Es gab mehr Finanz- und weniger reale Investitionen – und das zweite wahrscheinlich wegen des ersten. Und die Zinsen waren am Ende gerade deshalb und als Folge dieser Entwicklung niedrig (nicht als Auslöser). Weil es – anders als in der Bankenwelt – nur noch so wenig realen Preisdruck gab, gab es auch keinen Grund für höhere Zinsen (weder am Markt noch bei den Notenbanken). Ein ganz neuer Blick auf die Krise. In gängigen Modellen von Notenbankern und Reformern wurden die Kredite bislanggar nicht nach gut und schlecht aufgeteilt. Es galt ja lang genug immer alles als gut.
    Der Befund könnte nebenbei erklären helfen, warum das Schimpfen auf die Billigzinsen bei Bankern und Sparkassenlobbyisten so beliebt ist. Das ist zum einen praktisch, weil es impliziert, dass die bösen Notenbanker schuld an der Misere sind – nicht die Finanzjongleure bei Banken. Und es ist zum anderen praktisch, weil höhere Zinsen Ersparnisse anziehen, die Banken als Basis fürs Kreditgeschäft brauchen. Gut für die Banken, nur nicht (immer) für die übrige Wirtschaft und uns alle. Als Rezept für ein stabileres Bankensystem sind höhere Zinsen per se ziemlich untauglich. Eine abrupte Verteuerung von Geld würde ja auch jene Kredite einschränken, die gar nichts mit Spekulation zu tun haben, solange sich an der relativ höheren Rendite von Finanzinvestitionen nichts ändert. Wenn die Zinsen steigen, werden eben auch reale

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