Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
bald ein Punkt erreicht werden, vielleicht viel eher, als es uns selbst klar wird, an dem diese Bedürfnisse in dem Sinne befriedigt sind, dass wir vorziehen, unsere weiteren Kräfte nichtwirtschaftlichen Zwecken zu widmen.[ 31 ]
Keynes deutete mit dem Finger auf das Schreckgespenst der gesellschaftlich erzeugten Unersättlichkeit, nur um es anschließend zu ignorieren und in seinem Aufsatz fortan auf Grundlage der Annahme zu argumentieren, dass alle Bedürfnisse absolut seien. Warum dieses Versäumnis? Gut möglich, dass er diese »relativen Bedürfnisse« für zu unwichtig hielt, um sich weiter mit ihnen zu befassen. Keynes lebte in einer Zeit, in der der Großteil der Haushaltseinkommen für Brot, Unterkunft, Kleidung, Heizung und andere Dinge der Grundversorgung ausgegeben wurden. Die Aufwendungen für kompetitiven Statuskonsum machten nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtsumme aus. Heute verhält es sich umgekehrt: Der Löwenanteil der Haushaltsausgaben selbst der ärmeren Schichten fließt in Dinge, die in einem strikt materiellen Sinne nicht notwendig wären, aber dazu geeignet sind, Status zu verschaffen. Der Begriff des »materiellen Gutes« selbst hat sich so erweitert, dass er alles umfasst, was gekauft oder verkauft werden kann, einschließlich Ideen, Melodienschnipsel und sogar Identitäten.
Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen unterscheiden drei Formen des statusorientierten Konsums.[ 32 ] Die Details sind technisch, aberdie Mechanismen vertraut. Erstens gibt es den sogenannten »Bandwagon-« oder »Mitläufer-Effekt« – sprich Güter werden nachgefragt, weil andere sie bereits besitzen. Dahinter verbirgt sich zum Teil Neid, aber auch der Wunsch, so zu sein wie alle anderen. Beide Empfindungen sind bei Kindern besonders stark ausgeprägt, was Eltern dazu veranlasst, mehr zu arbeiten, als sie es ansonsten täten, um die Bedürfnisse ihrer Kinder zu befriedigen.
Dann gibt es den sogenannten »Snob-Effekt« – Dinge sind begehrt, eben weil andere sie nicht haben. Snob-Güter bedienen den Wunsch, anders, exklusiv zu sein, sich von der »Masse« abzuheben. Sie zeichnen sich nicht notwendigerweise durch einen hohen Preis aus, aber attestieren ihren Besitzern einen überlegenen Geschmack. Zeitgenössische Beispiele wären zum Beispiel (noch) unbekannte Underground-Bands, Kultfilme oder In-Restaurants. Natürlich schließen Snob- und Bandwagon-Güter einander nicht gegenseitig aus: viele Snob-Güter mutieren im Laufe der Zeit zu Bandwagon-Gütern, was dazu führt, dass die wahren Snobs sich von ihnen abwenden. Besonders gut beobachten lässt sich dieser fast schon zwangsläufige Prozess in der Kunst- und der Modewelt.
Schließlich wird noch der sich sowohl mit dem Snob- wie auch dem Bandwagon-Effekt überlappende »Veblen-Effekt« unterschieden, so benannt nach dem großen amerikanischen Theoretiker des Geltungskonsums, Thorstein Veblen. Veblen-Güter werden deshalb nachgefragt, weil sie teuer und dafür bekannt sind, dass sie teuer sind, und funktionieren im Prinzip wie öffentliche Statusbekundungen. Ob man erste Klasse, Business- oder Economy-Class fliegt, signalisiert in der immer noch hierarchischen Geschäftswelt den Rang einer Person im Unternehmen. Ein weiteres Veblen-Phänomen ist der sogenannte »Bling-Effekt«. Dass Marken, die von Prominenten bevorzugt werden, teuer sind, ist weithin bekannt, und eben das macht einen großen (wenn nicht den ganzen) Teil ihrer Attraktivität aus: je höher der Preis, umso exklusiver die Marke. Würde der Preis von Produkten einer solchen Marke sinken, würde womöglich auch die Nachfrage nach ihnen zurückgehen. Ein Witz aus Russland bringt das auf den Punkt: Treffen sich zwei neureicheRussen. »Wie viel hat deine Krawatte gekostet«, fragt der eine. »Eintausend Dollar«, erwidert der andere. »Tja, Pech gehabt«, sagt der erste. »Meine hat zweitausend gekostet.« Die Neigung zum Geltungskonsum ist eine bekannte Eigenschaft der
Nouveaux Riches
aller Zeiten und Länder.
Erfolg im Wettbewerb wird üblicherweise durch einen verschwenderischen Konsum signalisiert. Doch das muss weder so sein, noch muss darin das Motiv für den Wettbewerb liegen. Der Besitz von Geld kann für sich genommen als Erfolgsindex genügen, ohne dass man diesen Erfolg durch den Besitz kostspieliger Objekte demonstrieren müsste. In der Vergangenheit war das Ausgeben von Geld das hauptsächliche Mittel, der Welt zu signalisieren, dass man Geld besitzt, aber mit der Verbreitung des
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