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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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Klassiker aus dem 19. Jahrhunderts, sah Tocqueville in der »Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen« den fruchtbarsten Boden für das Wachstum des Arbeitsethos und des auf Erwerb gerichteten Instinkts.[ 35 ] In Europa, behauptete Tocqueville, kümmerte sich niemand darum, Geld zu verdienen. Die unteren Klassen hätten keinerlei Hoffnung, jemals welches zu bekommen, und in der Oberschicht gelte es als vulgär, darüber nachzudenken. Nur in den Vereinigten Staaten konnten Arbeiter daran glauben, durch harte Arbeit zu dem Reichtum zu gelangen, dessen man bedarf, will man den Luxus der Reichen genießen. Die amerikanische Kombination von sozialer Gleichheit und Einkommensungleichheit ist seitdem zur kapitalistischen Norm geworden und hat zu einer Situation geführt, in der sich in gewisser Hinsicht jedes Mitglied der Gesellschaft in einem Wettbewerb mit allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft befindet. Dabei gilt: Je größer die Einkommensungleichheit ist, umso größer ist der Wettbewerbsdruck. »Bei großen Einkommensunterschieden«, schreibt der Ökonom Richard B. Freeman, »besteht ein beträchtlicher Anreiz, das zu tun, was es braucht, um auf der Leiter der Einkommensverteilung nach oben zu klettern, nicht zuletzt, mehr und länger zu arbeiten.« Länder mit höherer Einkommensungleichheit haben im Durchschnitt längere Arbeitzeiten, und Beschäftigte in Berufen mit höheren Einkommensunterschieden neigen dazu, mehr zu arbeitenals solche, die in anderen Berufen arbeiten.[ 36 ] Was im Übrigen auch eine schlüssige Erklärung dafür liefert, warum Amerikaner und Briten im Durchschnitt mehr Stunden arbeiten als Kontinentaleuropäer.
    Drittens widerspricht die Ideologie der freien Marktwirtschaft seit jeher der Vorstellung, eine bestimmte Summe Geld könnte »genug« sein. Vielmehr gilt eine solche Vorstellung als degeneriert und herablassend, als ein Anschlag auf unser natürliches Streben danach, unser Los zu verbessern. »Es kommt wohl höchst selten vor«, gab Adam Smith 1776 den Ton vor, »dass irgendein Mann mit seiner Lage so absolut und vollständig zufrieden ist, dass er ohne den Wunsch einer Änderung oder Verbesserung wäre.«[ 37 ] Smiths kapitalistischer Erfolgsmensch wurde über eine lange Zeit hinweg durch die (in Europa stets stärker als in den Vereinigten Staaten ausgeprägten) vorherrschenden Auffassungen darüber in die Schranken gewiesen, was ein geziemendes Leben sei, schlussendlich aber hat er sich über alle Hindernisse hinweggesetzt. In früheren Zeiten erwarb sich ein Banker, sobald er konnte, einen Landsitz und setzte sich dann zur Ruhe; heute mag er sich immer noch einen Landsitz zulegen, aber er wird dafür Sorge tragen, dass er mit den Aktienmärkten verbunden bleibt, um sein Vermögen noch weiter zu mehren. Auf die Frage, warum man nicht mehr arbeitet, mit den Worten »Ich habe genug, um als Gentleman zu leben« zu antworten, wäre heute auf eine Weise grotesk, wie es das noch vor 80 Jahren keineswegs gewesen wäre.
    Schließlich verstärkt der Kapitalismus die Unersättlichkeit, indem er die Wirtschaft in zunehmendem Maße »monetisiert«. Hierbei sind zwei Aspekte von Belang. Erstens, aufgrund seiner Neigung, mehr und mehr Güter und Dienstleistungen zu »vermarkten« – sprich sie gegen Geld austauschbar zu machen –, weitet der Kapitalismus die Sphäre der monetären Bewertung kontinuierlich aus und erleichtert damit die direkte Vergleichbarkeit. Bevor Grundbesitz monetär bewertet wurde, konnten zwei Anwesen nicht so ohne Weiteres miteinander verglichen werden. Heute ist der Vergleich leicht und automatisch. Mehr und mehr Dinge, die wir wertschätzen, werden »eingepreist« und damit in die Sphäre des relationalen Wettbewerbs hineingezogen. Bildung zum Beispiel wird inzunehmendem Maße nicht mehr als Vorbereitung auf ein gutes Leben gesehen, sondern als Mittel dazu, den Wert des »Humankapitals« zu maximieren.
    Noch hinterhältiger aber ist, dass der Kapitalismus, indem er die Sphäre der Monetisierung ausweitet, die Liebe zum Geld
an und für sich
entflammt. Wie Marx – Goethe zitierend – uns gemahnt, kommt es dem Geld zu, »als hätt’ es Lieb’ im Leibe«.[ 38 ] Händler, die mit Futures, Derivaten und anderen hoch entwickelten Finanzprodukten handeln, müssen nichts über die wirklichen Güter wissen, auf die sich ihre Transaktionen schlussendlich beziehen. In der Welt des reinen Geldes, in der sie leben, verlieren sie das Empfinden für den Wert der Dinge.

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