Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
in Gestalt von Extravaganz, Großzügigkeit oder sexuellem Genuss, der verschwenderische Umgang mit dem eigenen Hab und Gut (beziehungsweise Körper) wurde mit allen Konnotationen der Sündhaftigkeit befrachtet. Die Mehrung des Wohlstands verlangte, wie Freud es später formulieren sollte, die Unterdrückung der Triebe.
Smiths Ökonomie stellte einen Triumph der intellektuellen
Ökonomisierung
dar – eine geniale Anwendung von Ockhams Rasiermesser auf das soziale Verhalten des Menschen. Die turbulenten Leidenschaften des Menschen wurden allein auf das Motiv des Eigeninteresses reduziert. Und eben das verlieh der Wirtschaftswissenschaft ihre einzigartige analytische Stärke. Denn damit musste sie sich ebenso wenig wie die von Machiavelli begründete politische Wissenschaft mit dem Versuch herumschlagen, die vielen und oft widersprüchlichen Leidenschaften der Menschen zu verstehen und fassbar zu machen. Denn sie alle ordneten sich einem Hauptmotiv unter, dem selbstsüchtigen Streben nach Wohlstand. Dabei war Smith noch weniger strikt gewesen als seine Adlaten, schließlich hatte er neben dem Eigeninteresse ein zweites unabhängiges Motiv für menschliches Verhalten anerkannt, nämlich das der »Sympathie«, und legte das in seiner
Theorie der ethischen Gefühle
auch ausführlich dar. Doch während die Wirtschaftswissenschaften Gestalt annahmen,wurden diese Komplexitäten ausgebügelt. Das Studium des Menschen, so, wie er »wirklich ist«, und nicht so, wie er »sein sollte«, wuchs heran zu einer uneinnehmbaren Festung der Mathematik, die ihre Akolythen verzaubert und alle andern zu hilflosem Protest verurteilt.
Nicht jedermann war von Smiths Verteidigung des Eigeninteresses überzeugt, verpasste sie den Wirtschaftswissenschaften doch den Ruf, der Tugend ihren Glanz und dem Laster seinen Stachel geraubt zu haben. Edmund Burke stimmte die klassische konservative Klage an, als er schrieb: »Aber die Zeiten der Rittersitte sind dahin. Das Jahrhundert der Sophisten, der Ökonomen und der Rechenmeister ist an ihre Stelle getreten, und der Glanz von Europa ist ausgelöscht auf ewig.«[ 16 ] Widerstand gegen den sich ausbreitenden Kommerzialismus kam auch von den amerikanischen und französischen Revolutionären, die sich auf die agrarischen »republikanischen Tugenden« des vorkaiserlichen Rom beriefen.
Smith nahm für sich zwar in Anspruch, Mandevilles »selbstsüchtiges System« widerlegt zu haben, tatsächlich aber war er keineswegs sonderlich weit darüber hinausgegangen.[ 17 ] Mandevilles zentraler Mechanismus – die Instrumentalisierung des Lasters im Interesse des Allgemeinwohls – lebt fort in Smiths unsichtbarer Hand, einer unsichtbaren Hand, die durch den simplen Schachzug, »Lasterhaftigkeit« in eine harmlose natürliche Eigenschaft umzudefinieren, von jedem teuflischen Beigeschmack befreit wurde. Von ein paar Ausnahmen abgesehen, ist das die Strategie, derer sich die Ökonomik seither durchgängig bedient hat. Ihre wertneutrale Sprache, die mit Begriffen wie »Nutzen« und »Präferenz« operiert, macht den faustischen Handel des Kapitalismus notwendigerweise unsichtbar.
Nur an wenigen Stellen gibt Smith zu erkennen, wie tief er in Mandevilles Schuld steht. Eine davon ist die berühmte Passage aus seiner
Theorie der ethischen Gefühle,
in der er darlegt, wie die Laster der Reichen dem Wohl der Gesellschaft insgesamt zuträglich sind. (Übrigens das erste Mal, dass er die Metapher von der »unsichtbaren Hand« verwendet.) Obwohl die Reichen, schreibt Smith,
nur ihre eigene Bequemlichkeit im Auge haben, obwohl der einzige Zweck, welchen sie […] erreichen wollen, die Befriedigung ihrer eigenen eitlen und unersättlichen Begierden ist, […] teilen sie doch mit den Armen den Ertrag aller Verbesserungen […]. Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande gekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft […].[ 18 ]
Hier kehrt Smith ganz offen zur alten moralischen Begrifflichkeit der Habgier, Eitelkeit und Unersättlichkeit zurück, ist die Maske einen Moment lang verrutscht.
Ebenso wenig konnte Smith, trotz seiner besten Bemühungen, selbige zu übertünchen, die negativen Auswirkungen des kommerziellen Systems auf die Lebensumstände und das Wesen der
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