Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
Vom Netzwerk:
Bewohnern ein gutes Leben bieten könnte. Mill erkannte das relationale Element von Begierden, sah aber keinen Grund, den Wettbewerb nicht nur durch eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen abzumildern:
    Ich bekenne, dass ich mich nicht mit dem Lebensideal derjenigen befreunden kann, welche dafür halten, dass fortwährendes Gegeneinanderkämpfen der normale Zustand menschlicher Wesen sei; dass das Sich-Drängen, Stoßen, Schieben, was den dermaligen Typus des sozialen Lebens abgibt, das wünschenswerteste Los der menschlichen Gattung oder irgend etwas anderes sei als ein unerfreuliches Symptom einer Phase des industriellen Fortschritts. Es mag dies eine notwendige Stufe in der Entwicklung der Zivilisation sein, welche diejenigen europäischen Nationen, die bisher so glücklich waren, davon verschont zu bleiben, noch zurückzulegen haben […] Als der beste Zustand für die menschliche Natur erscheint jedoch ein solcher, in welchem,während keiner arm ist, niemand Grund zur Besorgnis hat, dass er durch die Bestrebungen anderer, die sich vorwärts drängen wollen, zurückgeschoben werde.[ 20 ]
    Nach Mill geriet die Vorstellung von einem »stationären Zustand«, ob nun trostlos oder utopisch, in der politischen Ökonomie in Vergessenheit, bis Keynes sie wieder belebte. Der technologische Fortschritt hatte den Menschen erstmals die Aussicht auf eine Wohlstandsakkumulation ohne Grenzen eröffnet.
F AUST ALS LITERARISCHE M ETAPHER
    Wahrheiten, die von der rationalen Sprache der säkularen Wissenschaften verschleiert werden, treten mit verblüffender und verwirrender Klarheit in der Poesie zutage. Der Handel mit dem Bösen um des lieben Fortschritts willen, zu dem die Ökonomen sich nicht offen bekennen oder den sie nur in der anästhetisierten Form von »Kosten« behandeln konnten, fand in der Faust-Legende sein perfektes Symbol. Die Faust-Geschichte ist ein einzigartig moderner Mythos, der größte Mythos, der nicht aus der Bibel oder der heidnischen Vergangenheit zu uns gekommen ist. Er verkörpert die – der klassischen und der Hauptströmung der christlichen Kultur fremde – Vorstellung, dass das Böse nicht nur eine negative Kraft ist, der man zu widerstehen habe, sondern auch eine positive, kreative Kraft in den menschlichen Angelegenheiten sein kann.
    Die Faust-Legende basiert auf der realen Figur eines deutschen Gelehrten mit Namen Johann Georg Faust (ca. 1480–1540), hinter dessen vermeintlichen Wundertaten die Leichtgläubigen einen Pakt mit dem Teufel vermuteten. In den ersten Versionen der Geschichte ist Faust eine durch und durch mittelalterliche Figur, ein Alchemist und Magier, der seine teuflischen Kräfte für die schändlichen Zwecke der Verführung und des Betrugs verwendet. Mit der weiteren Entwicklung der Legende aber streift er seine alchemistische Vergangenheit ab und wird zu einer entschieden modernen Figur, zu einem Wissenschaftler, der nach derHerrschaft über die Natur strebt und einen furchtbaren Preis für seine Anmaßung bezahlt.
    Schöpfer der ersten großen literarischen Faust-Erzählung war der elisabethanische Dramatiker Christopher Marlowe. In seinem Stück
Doktor Faustus
besteht die Sünde des Doktors in seinem Streben nach grenzenlosem Wissen und ebensolcher Macht. Faustus träumt nicht nur von sexuellen Eroberungen, sondern auch von der Macht, große Dinge zu vollbringen – Deutschland mit einem Wall aus Messing umgeben, den Rhein um Wittenberg herumfließen zu lassen, die Studenten der Stadt in Seide zu kleiden und die Spanier aus den Niederlanden zu vertreiben. Er verschwendet seine vom Teufel gewährte Macht weitgehend auf Trivialitäten und findet, wie der ursprüngliche Faust, ein grausiges Ende, als der Teufel seine Schuld einfordert. Doch Faustens Ambitionen waren nicht nur verachtenswert, immerhin hatte er sich »binnen eines halben Jahrhunderts […] von einem zunächst historischen und dann legendären Gauner […] in einen machtbesessenen tragischen Renaissance-Helden [verwandelt]«.[ 21 ]
    Gut möglich, dass Marlowe, als er an seinem Faustus saß, an einen Zeitgenossen dachte, nämlich an den Philosophen und Staatsmann Francis Bacon. Bacon war der Prophet des technischen Fortschritts, der erste Mensch, der den Plan entwickelte, die Natur zum Zwecke der dauerhaften Verbesserung der Lage der Menschen zu beherrschen. Anstelle der spekulativen Methoden der antiken und mittelalterlichen Wissenschaften forderte er die »Erkundung der wahren Ursachen der Dinge«, und

Weitere Kostenlose Bücher