Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
unverkennbar eine Anspielung auf das England des 18. Jahrhunderts. Mandevilles Bienen sind »Falsch, Dünkel und Pomp« verfallen, doch eben durch die »Staatskunst« werden aus diesen privaten Lastern die »gesellschaftlichen Vorteile« des Handels und des Gewerbes hervorgebracht:
Das Laster Geiz, die Schmach, die Pein,
Des Bösen Quell, musst Sklave sein.
Der noblen Sünde, der Verschwendung,
Indem des Luxus’ Prachtaufwendung
Millionen Armen Arbeit schuf,
Desgleichen Stolz, trotz üblem Ruf.
Die Eitelkeit selbst und der Neid
Warn Diener der Geschäftigkeit.[ 12 ]
Diesem füge man Tugend hinzu: Der Wohlstand schwindet, und das Bienenvolk verfällt dem Niedergang. Mandevilles Darstellung davon, wie eine um sich greifende Tugendhaftigkeit den Wohlstand mindert, gefiel Keynes sehr, der in seiner
Allgemeinen Theorie
auch mehrere Passagen aus
Die Bienenfabel
zitierte. Mandevilles Moral ist klar: Man kann Reichtum und Laster haben oder Armut und Tugend, aber nicht Reichtum und Tugend. Entscheiden Sie sich.
Mandevilles lässige Haltung gegenüber dem Laster entsprach noch ganz der Stimmung im England nach der Restauration. Doch ein halbes Jahrhundert später hatte eine Art säkularer Puritanismus das Land erfasst, und es wäre pietätlos erschienen, das Laster zum Fundament einer neuen Wissenschaft der Verbesserung zu machen. Aber die fortschrittlicheren unter den zeitgenössischen Denkern fanden bald einen Weg, Mandevilles Paradox seinen Stachel zu nehmen. Der Trick bestand darin, Tugenden und Laster dergestalt
umzudefinieren,
dass sie auf einer Linie lagen mit dem ökonomischen Nutzen. »Es ist tatsächlich bei jedemMoralsystem kaum weniger als ein begrifflicher Widerspruch«, schrieb David Hume, ein Pionier des neuen Ansatzes, »wenn man von einem Laster spricht, das im Allgemeinen nützlich für die Gesellschaft ist.«[ 13 ] Der alte Ausdruck »Habgier« wurde nach und nach durch das farblose »Eigeninteresse« verdrängt und blieb, wenn überhaupt, nur für pathologische oder kriminelle Methoden des Erwerbs wie Horten oder Betrügen in Gebrauch. Unterdessen wurde die gewöhnliche geschäftliche Betätigung in einer Sprache beschrieben, die an einen nützlichen, wenn auch wenig heldenhaften Zeitvertreib denken ließ. »Es gibt für einen Mann wenig Möglichkeiten, sich unschuldiger zu betätigen als beim Geldverdienen«, drückte es zum Beispiel Samuel Johnson auf so berühmte Weise aus. Sein französischer Zeitgenosse Montesquieu derweil sprach von der
Douceur,
der Süße, des Handels.[ 14 ]
Nun, da der Gelderwerb von seinem ethisch ehrenrührigen Beigeschmack befreit war, konnte man ihn im Hinblick auf Ursache und Wirkung studieren. Der schottische Philosoph Adam Smith machte den Anfang. In seinem 1776 erschienenen Meisterwerk
Der Wohlstand der Nationen
zeichnete er die Menschen als getrieben von dem natürlichen Wunsch, das eigene Wohlergehen zu verbessern, was sie unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs dazu bringt, wie »von einer unsichtbaren Hand geleitet« das Allgemeinwohl zu fördern. Smith übertrug Newtons mechanische Wissenschaft auf die wirtschaftlichen Beziehungen und wies dabei dem Eigeninteresse die Rolle der Schwerkraft zu. Das war eine revolutionäre Neuerung. Die traditionelle Ethik hatte die Gesellschaft als eine Veranstaltung zur Förderung des Allgemeinwohls begriffen. Smith dagegen sah in ihr einen rein kausalen Nexus von durch ihr Eigeninteresse motivierten Individuen. Gott, den Smith bildlich als »Großen Lenker des Universums« bezeichnet, hat lediglich die Maschinerie in Bewegung gesetzt und es ansonsten der Eigenliebe des Menschen überlassen, möglichst großen Nutzen daraus zu ziehen. Oder in den Worten des britischen Dichters Alexander Pope: »Gott und Natur verbanden jene zwei, / dass Selbstsucht und Sozialtrieb eines sei.«[ 15 ]
Smiths Doktrin des Eigeninteresses tat mehr, als nur aus Habgiereine Tugend zu machen; sie verwandelte die klassische Tugend in ein Laster. Protzige Zurschaustellung wurde vermieden, stattdessen übte man sich in »Frugalität« oder »Sparsamkeit«. In Smiths politischer Ökonomie wird die Askese zur tugendhaften Form des Eigeninteresses, zum effizienten Beförderer der Kapitalakkumulation.[ * ] Vom Almosengeben wurde abgeraten, weil es die Untätigkeit fördere. Allein die Wolllust, die sinnliche Begierde, behielt ihren todbringenden Status, da sie die Menschen vom Geldverdienen und dem Erwerb eines gesicherten Vermögens ablenkte. Gleich ob nun
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