Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
weilen wird und der Leopard beim Böckchen lagern«. Dieses teleologische Verständnis derGeschichte wurde von den frühen Christen übernommen, die nun den End- und Höhepunkt in der kommenden Wiederkunft Christi verorteten. Die Offenbarung des Johannes, Quelle so vieler Dichtkunst und so vieler Verrücktheiten, prophezeit einen »neuen Himmel und eine neue Erde«, in der »der Tod nicht mehr [wird] sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz, denn das Erste ist vergangen«.
Die Saat des Tausendjährigen Reich Christi liegt tief im christlichen Bewusstsein, stets bereit, in Zeiten der Härte und des Aufruhrs üppige Blüten zu treiben, vom offiziellen Christentum aber seit jeher vorsichtig auf Distanz gehalten. Der heilige Augustinus, ein vormaliger Platoniker, siedelte seinen »Gottesstaat« nicht am Ende der Geschichte an, sondern gleich ganz außerhalb der Zeit und überließ den »Menschenstaat« seinem alten, zyklischen Schicksal. Somit war die Religionsgeschichte strikt getrennt von der weltlichen, säkularen Geschichte. Doch die Gefahr einer Vermischung der beiden war stets gewärtig. Joachim von Floris, ein italienischer Mystiker aus dem 12. Jahrhundert, entwickelte auf der Grundlage der drei Figuren der Dreifaltigkeit eine sinnreiche Theorie der Menschheitsgeschichte. Das Zeitalter des Vaters war mit der Geburt Christi zu Ende gegangen, das Zeitalter des Sohnes näherte sich seinem Abschluss, und das Zeitalter des Heiligen Geistes, in dem alle Christen in einem neuen spirituellen Königreich frei von den Buchstaben des Gesetzes vereint sein würden, stand unmittelbar bevor. Natürlich, das vorhergesagte Jahr kam und ging und nichts passierte, und im 13. Jahrhundert wurden Joachims Lehren sogar zur Häresie erklärt.[ 8 ] Doch sie warfen einen langen, sozusagen unter der Erde verlaufenden Schatten, der bis ins 19. Jahrhundert und zu Hegel und Marx reichte.
Von besonderer Bedeutung für unser faustisches Thema hier ist die nur knapp unter der Oberfläche vieler christlicher Geschichtsphilosophien lauernde Vorstellung, dass das Böse ein integraler Bestandteil der Erlösungsgeschichte sei. Hätte Adam damals im Paradies nicht gefehlt, wäre, betonten viele Kirchenväter, Christus nicht auf die Welt gekommen. Adams Sünde war eine »glückliche« Sünde, eine
felix culpa.
Doch als Präzedenzfall barg das Gefahren. »Sollen wir denn in der Sünde beharren,auf dass die Gnade desto mächtiger werde?«, lautet die rhetorische Frage des Apostel Paulus, die er ebenso geschwind wie entschieden beantwortet: »Das sei ferne!« Die christliche Orthodoxie kannte und kennt keine andere Antwort. Böses zu erlauben, um auf diese Weise Gutes zu wirken, ist eine Sache allein der göttlichen Vorsehung. Wir Menschen dürfen uns nicht an Gottes Fügung orientieren, sondern müssen uns an seine Gebote halten, die Böses kategorisch verbieten.
Doch als sich nach der Reformation der Griff der doktrinären Orthodoxie in Europa lockerte, wurde die Frage des Paulus wieder gestellt, und dieses Mal ernsthaft. Im 16. Jahrhundert entdeckte Jacob Böhme, ein lutherischer Mystiker, in Gott selbst eine dunkle, dynamische Qualität, die er mit dem Ausdruck
Ungrund
belegte. John Miltons Satan ist eine edle, eloquente Figur und weit entfernt von der abscheulichen Mannziege der mittelalterlichen Bildwelt. (»Milton war«, so William Blakes berühmter Ausspruch, »ohne es zu wissen, ein Parteigänger Satans«.) Radikaler noch als Böhme oder Milton, sah Blake selbst das Böse als eine lebendige, schöpferische Macht, eine notwendige Ergänzung des statischen und etwas pedantischen Gottes. »Ohne Gegensätze gibt es keinen Fortschritt«, schrieb er in
Die Hochzeit von Himmel und Hölle.
»Anziehung und Abstoßung, Vernunft und Energie, Liebe und Hass sind für die menschliche Existenz notwendig. Aus diesen Gegensätzen entsteht, was die Anhänger der Religion Gut & Böse nennen. Das Gute erleidet passiv und gehorcht der Vernunft. Das Böse handelt aktiv und entspringt der Energie.«[ 9 ]
Gut möglich, dass einzelne Elemente dieser mystischen Tradition auch in Keynes’ Kopf gegenwärtig waren, als er 1930 »Wirtschaftliche Möglichkeiten« schrieb. (Schließlich war er, nebenbei bemerkt, auch von der Alchemie fasziniert und investierte sogar eine gewisse Summe in ein Projekt zur Umwandlung unedler Metalle in Gold.) Die unmittelbare Quelle für Keynes’ Billigung des faustischen Handels jedoch findet sich in der rein säkularen Tradition der
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