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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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Volkswirtschaften.
D IE Ö KONOMEN: V ON DER H ABGIER ZUM E IGENINTERESSE
    Die Renaissance erfand – beziehungsweise wiederentdeckte – den Gedanken, zum Zwecke der Regierung von Gesellschaften die Begierden des Menschen zu
nutzen
, statt sie als sündig zu verdammen. Der kluge Prinz, schrieb Niccolò Machiavelli, nimmt die Leute so, wie sie sind, nicht, wie sie sein sollten: Er macht sich ihre Wankelmütigkeit, ihre Heuchlereien und ihre Gier zunutze, um seine Ziele zu erreichen. Das Maß der Tugend in der Politik ist Erfolg, nicht Redlichkeit. Machiavellis Doktrin klang in den Ohren der christlichen Moralisten so verwerflich, dass der Ausdruck »Old Nick« im Englischen zu einem Beinamen des Teufels wurde. An ihrer Wirkung änderte das nichts. Thomas Hobbes wie auch John Locke folgten Machiavelli darin, dass sie den Staat als eine Einrichtung zur Befriedigung der menschlichen Begierden auf möglichst friedlichem Wege und nicht etwa zu ihrer Ächtung darstellten. Die lobenswerte Absicht dieser »realistischen« Staatslehren lautete, die Gewalt – und insbesondere die religiöse Gewalt – im Leben der Menschen zu minimieren. Im 18. Jahrhundert schließlich, einer friedliebenderen Zeit, fand der Gedanke, die menschlichen Leidenschaften in den Dienst nützlicher Zwecke umzuleiten, Eingang in die ökonomischen Wissenschaften.
    Im vorwissenschaftlichen Denken über die Ökonomie wurde die Liebe zum Geld gleichermaßen als moralisch verwerflich wie historisch destruktiv erachtet. Für Augustinus war sie die schlimmste Sünde des Menschen noch vor der Liebe zur Macht oder der Fleischeslust. Auch die politischen Moralisten neigten dieser Auffassung zu. Wie die Erfahrung zeigte, beraubten Habgier und Luxus die zivilisierten Nationen ihrer Stärke und machten sie zu leichten Opfern kriegerischer, noch nicht durch Wohlstand verdorbener Barbaren. Dieses uralte Muster prägte die zyklische Geschichtsauffassung Sallusts und anderer Römer und war auch im Denken Machiavellis, Montesquieus und Gibbons noch präsent.
    In Kriegeraristokratien oder Republiken mit Bürgermilizen lag dieVorstellung, allzu viel Wohlstand verführe zu Dekadenz, natürlich nahe. In den Staaten des frühmodernen Europas mit ihren Berufsarmeen verhielt sich das jedoch gänzlich anders. Hier lag es sehr wohl im Interesse der Monarchen, die Schaffung von Wohlstand zu fördern, da dies ihnen eine Einkommensquelle bot, aus der sie Söldnerarmeen anheuern oder stehende Heere unterhalten konnten. So gesehen war die Anhäufung von Reichtum viel mehr ein Mittel zur Macht und nicht das Übel, das ihren Niedergang bewirkte. Und wenn Reichtum und Macht Hand in Hand gingen, tat sich vielleicht auch endlich ein Ausweg aus dem alten Kreislauf von Aufstieg und Zerfall auf. Der dauerhafte ökonomische Fortschritt wurde zu einer Möglichkeit.
    Bis Anfang des 18. Jahrhunderts hatte sich dieses neue Ideensystem in den führenden europäischen Handelsnationen, Großbritannien und Holland, als höchst wirksame Grundlage der Herrschaft bewährt. Dass dessen ungeachtet beide Nationen offiziell immer noch Moralvorstellungen verpflichtet waren, die Habgier und Luxus als Untugenden verurteilten, führte zwangsläufig zur Heuchelei – einer Heuchelei, die erstmals der niederländisch-englische Schriftsteller Bernard Mandeville (1670–1733) mit satirisch spitzer Feder bloßstellte.
    Mandeville ist der Machiavelli der Ökonomie – einer dieser unbequemen Denker, die darum bemüht sind, die menschliche Natur so zu sehen, wie sie ist, statt so, wie sie nach Meinung der Moralisten sein sollte. Er zog gegen die Scheinheiligkeit derjenigen vom Leder, die Gewinn aus Habgier und Wucher zogen, zugleich aber dagegen predigten. »Die sittlichen Tugenden«, schrieb Mandeville, »[sind] Abkömmlinge einer Kreuzung von Schmeichelei und Eitelkeit.«[ 10 ] Mandeville hatte etwas Diabolisches an sich. Als Arzt war er spezialisiert auf die Behandlung »hypochondrischer und hysterischer Leiden«. In seiner Freizeit aber verfasste er Satiren und politische Pamphlete. Sein Zynismus schockierte die damaligen Kritiker, und in Gelehrtenkreisen wurde seinen Schriften eine satanische Inspiration nachgesagt.[ 11 ]
    Mandevilles bekanntestes Werk,
Die Bienenfabel, oder: Private Laster als gesellschaftliche Vorteile,
ist eine sonderbare Veranstaltung. Einlanges, in Knittelversen verfasstes Pamphlet, das begleitet von philosophischen Kommentaren vom Geschick eines zänkischen Bienenvolks erzählt,

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