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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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einem das System hinwegfegenden Aufstand bewegen. Entsprechend ratlos reagierten die Marxisten, als Ende des 19. Jahrhunderts die Reallöhne der Arbeiter unverkennbar steigende Tendenzen zeigten. Irgendetwas stimmte nicht mit der Theorie. Was Marx nicht mit eingerechnet hatte, war die Möglichkeit, dass die Arbeitsproduktivität durch Investitionen in arbeitssparende Technologien gesteigert werden konnte. Das wiederum ermöglichte einen Anstieg der Reallöhne ohne einen gleichzeitigen Rückgang der Profitrate. Mit anderen Worten, es gab keinen Grund, warum die Profitrate im Laufe der Zeit fallen musste.
    Im
Kommunistischen Manifest
findet sich eine andere mögliche Ursache für Krisen: »In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. Weil sie zu viel Zivilisation, zu viel Lebensmittel, zu viel Industrie, zu viel Handel besitzt […] Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen.«[ 36 ] Diese wenig exakten Phrasen, denen Marx in der Folgezeit keine sonderliche Bedeutung zumaß, deuten auf eine Theorie der Unterkonsumtion hin, die später von dem britischen Liberalen J. A. Hobson und der deutschen Marxistin Rosa Luxemburg entwickelt wurde. Luxemburg fragte sich, wie, bei stagnierenden Reallöhnen, die Arbeiterklasse einen ausreichenden Markt für den beständig anschwellenden Strom an Produkten bilden konnte, der von den neuen Maschinen ausgestoßen wurde. Schließlich bestand der einzige Zweck des Investierens darin, Dinge zu produzieren, die mit Profit verkauft werden konnten. Aber wenn die Dinge nun nicht verkauft werden konnten, warum sollten die Kapitalisten dann weiter investieren?[ 37 ] Dieselbe Frage stellte sich Keynes in den 1930er-Jahren, und angesichts der Entwicklungen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, in dem in den westlichen Ländern die Reallöhne im Vergleich zu den Kapitalerträgen gesunken sind, ist diese Frage immer noch aktuell.
    Die Imperialismustheorie wurde erfunden, um die unerwarteteÜberlebensfähigkeit des Kapitalismus zu erklären. Während Lenin in armen Ländern vor allem ein Reservoir für die weitere Ausbeutung der Arbeiter sah, stellten sie für Luxemburg – zusammen mit der Rüstungsproduktion – eine Art Überdruckventil dar, zusätzliche Märkte, die die über den Konsum hinausgehende überschüssige kapitalistische Produktion absorbierten. Wie immer aber man die Validität der einen oder anderen Erklärung bewerten mag, tatsächlich weist weder die eine noch die andere auf den Kollaps des Kapitalismus hin, sondern vielmehr auf seine Fähigkeit, sich aus inneren Krisen zu befreien, insbesondere durch die Globalisierung. Wie Marx’ moderner Kommentator Meghnad Desai schreibt: »Selbst unter Annahme verschiedener Bedingungen schafft Marx es nicht, auch nur ein einziges Szenario für die Dynamiken des Kapitalismus vorzulegen, das in irgendeiner Weise seinen schlussendlichen Untergang vorhersagen würde.«[ 38 ] Die Erkenntnis, dass der apokalyptische Moment des Kapitalismus nicht aus seinem ökonomischen Modell abgeleitet werden konnte, war wahrscheinlich auch der Grund, warum Marx die letzten beiden Bände von
Das Kapital
niemals abschloss.
    Angesichts der immensen Ungewissheit, was die Frage nach dem »Sturz« des Kapitalismus angeht, sollte es nicht überraschen, dass Marx dem Leben nach dem Kapitalismus kaum Aufmerksamkeit widmete. Sein Freund und Weggefährte Friedrich Engels sprach von einem »Reich der Freiheit«, das jenseits des »Reichs der Notwendigkeit« lag. Marx aber lehnte es ab, wie er es nannte, »Rezepte für die Garküche der Zukunft« zu verfassen. In einer berühmten Passage aus dem Vorwort von
Zur Kritik der politischen Ökonomie
schrieb er: »Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann.«[ 39 ] Mit diesen Worten erteilte Marx den utopischen Experimenten seiner Zeit eine klare Absage. Entsprechend vage waren auch seine eigenenVorstellungen des kommenden Utopias. Die Menschen werden »heute dies, morgen jenes […] tun, morgens […] jagen, nachmittags […] fischen,

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