Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
einordnet. Und wenn fünf durchschnittliches Glücksempfinden bezeichnet, welche Population ist dann die Bezugsgröße? Das Land? Die ganze Welt? Auf all diese Fragen bekommen Teilnehmer von Glücksumfragen keine Antworten.
Bei internationalen Vergleichen vervielfachen sich die Probleme noch. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass Aussagen zu Glück hochgradig kulturgebunden sind und von einem Land zum anderen variieren. Fragen Sie einen Amerikaner, wie es ihm geht, wird er ziemlichsicher antworten »danke, sehr gut«. Stellen Sie die gleiche Frage einem Russen, wird er wahrscheinlich mit einem Schulterzucken sagen »normalno« und damit zu verstehen geben, dass es schlimmer sein könnte. Wenn Amerikaner und Russen sich nur darin unterscheiden, wie sie ihr Glück
ausdrücken,
könnte ein persönlicher Fragebogen die Wahrheit zutage fördern. Aber wenn sie sich darin unterscheiden, wie sie Glück
wahrnehmen,
kann man von keiner noch so sorgfältig durchgeführten Umfrage erhoffen, dass sie ihre wahren Gefühle enthüllt. Glücksforscher übersehen die zweite Möglichkeit. Sie nehmen an, dass die Menschen wissen, wie glücklich sie sind, oder dass zumindest falscher Optimismus und falscher Pessimismus gleichmäßig über den Globus verteilt sind. Aber warum sollte man das annehmen? Menschen, die so erzogen sind, Glück als ein Zeichen von Erfolg zu betrachten, werden nur widerstrebend zugeben, dass sie traurig sind, sogar sich selbst gegenüber. Könnten die hohen Werte in Amerika und anderen westlichen Ländern nicht vielleicht einfach nur anzeigen, dass hier »positives Denken« vorherrscht – wilde Entschlossenheit, immer das Schöne im Leben zu sehen? Natürlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass in den meisten westlichen Ländern große nichtwestliche Minderheiten leben, oftmals konzentriert auf bestimmten sozioökonomischen Niveaus. Kulturelle Effekte könnten deshalb sowohl bei nationalen wie bei internationalen Umfragen zu Verzerrungen führen.
Und dann ist da noch das Problem der Übersetzung. Glücksforscher müssen davon ausgehen, dass es für das englische Wort »happy« überall auf der Welt synonyme oder beinahe synonyme Begriffe gibt, ansonsten wären Vergleiche sinnlos. Aber das trifft nicht überall zu. Nehmen wir
xingfu,
das chinesische Wort, das in der chinesischen Version des World Values Survey verwendet wird.
Xingfu
bedeutet gute Lebensumstände mit einer Betonung auf starken Familienbanden. Man ist nicht
xingfu,
wenn man Tennis spielt oder eine Orange isst. Und es wäre ein Missbrauch des Begriffs, nicht nur ein psychologischer Irrtum, eine Prostituierte oder einen alternden Playboy als
xingfu
zu bezeichnen.[ * ]
Xingfu
ist, kurz gesagt, in der Bedeutung dem antiken griechischen
eudaimonia
näher als dem modernen englischen »happy«.[ 14 ] Bei anderen Sprachen gibt es ähnliche Schwierigkeiten. Allgemein kann man sagen, »happy« ist ein viel leichterer, weniger fordernder Begriff als seine ausländischen Äquivalente – vielleicht spiegelt das den Einfluss des Utilitarismus auf die angelsächsischen Kulturen wider. Anna Wierzbicka, eine führende Expertin für die Semantik der Emotionen, beklagt, »wie eloquent die aktuelle Literatur zu Glück sprachliche Unterschiede bestreitet«.[ 15 ]
Glücksforscher machen sich im Allgemeinen keine großen Gedanken über die genaue Formulierung ihrer Fragebögen und den Sinn ihrer Skalen. Sie sind zufrieden, wenn sie feststellen, dass das, was sie messen möchten, stark mit anderen Dingen korreliert, die mit Glück assoziiert sind: niedriger Blutdruck, starke Aktivität der linken Hirnhälfte, gute Gesundheit und viel Lächeln. Dann sind ihre Ergebnisse, in ihrem Jargon ausgedrückt, »valide«. Aber das wirft eine mehr philosophische Ratlosigkeit auf: Welche neuen Informationen können Glücksumfragen enthalten, wenn ihre Validität anhand von Fakten über Glück ermittelt wird, die wir bereits kennen? Entweder stimmen die Ergebnisse mit dem überein, was wir bereits wissen, dann sind sie überflüssig. Oder sie stimmen nicht damit überein, dann sind sie fehlerhaft. Bestenfalls können solche Umfragen das, was wir bereits wissen, mit neuen Details unterfüttern. Aber etwas radikal Neues können sie uns nicht sagen – wenn es so wäre, würden wir ihnen nicht glauben.
Es gibt zwei Arten von Korrelaten zu Selbstaussagen über Glück: physiologische Daten und Indizien. Physiologisch hat sich gezeigt, dass Menschen, die sich selbst als glücklich
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