Wie viel kann eine Frau ertragen
Waschlappen nehmen, weil meine Stiefmutter für mich kein Geld ausgeben wollte. Und das hier in Deutschland! Wir hatten Unterricht und dann musste ich ganz dringend zur Toilette. Als ich aufstand, war schon alles passiert. Mein Blut kam durch meine Klamotten durch. Alle haben sich amüsiert, nur mir war es, wie immer, wieder sehr peinlich. Ich bin dann zur Toilette gegangen, habe mir Toilettenpapier daraufgelegt und bin so wieder zurück in den Unterricht gegangen. Die Flecken im Rock habe ich versucht auszuwaschen, aber es klappte nicht, und jetzt hatte ich noch einen nassen Rock dazu. Ich wollte nach Hause gehen, durfte aber nicht. Das war im Sommer, entweder kurz vor den Ferien oder nach den Ferien, das weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war es draußen warm und ich war damals siebzehn Jahre jung.
Im Dezember 1976 kam meine Schwester Elvira mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie hatte da schon zwei Kinder. Ihre Schwiegereltern kamen mit der Familie von meiner Schwester zusammen nach Deutschland. Nach Bielefeld kamen sie zusammen im Januar 1977. Im Frühjahr 1977 hatte meine Schwester eine Wohnung in unserem großen Mietshaus bekommen. Wir wohnten in der vierten Etage und sie hatten ihre Wohnung in der zweiten Etage.
Nach einer Weile nach den Sprachkursen ging Rudi nach Münster studieren und Jakob fing an zu arbeiten. Wir gingen weiter zur Schule. Unser Vater machte eine Umschulung und die Stiefmutter war zu Hause mit ihren Kindern. Unser Vater war und ist immer noch sehr sparsam. So wurde ganz sparsam eingekauft und Obst gab es für uns einmal die Woche. Es wurde eine Tüte Äpfel gekauft und auf uns vier Kinder aufgeteilt. Jeder bekam meistens vier, fünf Äpfel und das für eine ganze Woche. Wir waren noch im Wachstum und da brauchten wir doch Vitamine, aber nein. Das Sparprogramm war angesagt, weil meine Eltern ein Haus bauen wollten. Von Süßigkeiten wollen wir gar nicht reden, sie gab es fast nie, nur einmal im Jahr und das zu Weihnachten. Drei Monate nach dem Weihnachtsfest, ich glaube, das war März 1979, schimmelten die Bonbons bei meinen Eltern im Schlafzimmerschrank. Ich habe es selbst gesehen, weil ich nach Süßigkeiten gesucht habe. Bevor diese Süßigkeiten an die Kinder ausgeteilt wurden, ließen sie diese lieber verschimmeln. Auch so etwas gab es bei uns.
Als wir nach Deutschland kamen, sagte unsere Stiefmutter, dass sie uns adoptieren wollte. Als die Eltern erfahren haben, dass es für uns Waisenrente geben würde, war es vorbei. Es ist ja auch verständlich. Mein Vater und meine Stiefmutter bekamen auf einen Schlag 20.000,– DM Waisenrente nachgezahlt. Aber wir haben nicht einen Pfennig davon gesehen. Es wurde so geheimnisvoll gemacht, aber wir haben es dann doch mitgekriegt. Dieses Geld ging dann fürs Haus bauen drauf.
Als sich mein achtzehnter Geburtstag näherte, bettelte ich buchstäblich um einen Führerschein. Mein Vater aber hatte mir dann ganz schnell diesen „Zahn“ gezogen. Er sagte nur zu mir, dass er mir kein Auto kaufen würde. Mit meinem jüngeren Bruder, er hatte da schon eine Freundin, würde ich wohl im Auto nicht über Kartoffeln reden. Das Geld, was ich bekam, nahm mein Vater an sich, aber zurückgeben gab es nicht.
Im Sommer 1978 hatte unser Vater uns alle zu meiner Schwester bestellt. Wahrscheinlich wollte er sein Gewissen beruhigen, er und die Stiefmutter waren in Bielefeld in einer Mennonitengemeinde. Mein Bruder Rudi war damals verlobt und wollte im August heiraten. Mein Bruder Jakob war neunzehn, der jüngere Bruder Waldemar noch keine sechzehn Jahre und ich gerade mal achtzehn Jahre jung.
Er hat viel erzählt, ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat. Aber ein Satz, den er gesagt hat, blieb mir im Gedächtnis. Und zwar: „Eure Mutter hat mir nichts gegeben (im Bett) und ich bin dann zu anderen Frauen gegangen (fremd)!“ Wir konnten kaum etwas dazu sagen, weil wir alle, außer meiner Schwester Elvira, nicht verheiratet waren. Wir wussten nichts vom Eheleben. Mit fünfzehn oder achtzehn Jahren hatten wir gar keine Ahnung, wie eine Ehe funktioniert, wie ein Ehepaar zusammenlebt. Ich hatte so das Gefühl, dass Vater nur sein Gewissen beruhigen wollte, ansonsten hätte er unsere tote Mutter nicht beschuldigt. Unser Vater kann seine Schuld nicht zugeben, bei ihm ist immer jemand anderes schuld. Dieser Nachgeschmack, dass unsere Mutter an allem schuld war, ist schon ganz schon schlimm. So hat sich unser Vater bei uns Kindern
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