Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
wischen.
»Also, Benny lebte ungefähr vier Jahre bei einer alten Dame aus dem Ort, die vor zwei Monaten gestorben ist. Leider hat man den Tod von Frau B. erst nach einer Woche bemerkt, weil sie auch sonst sehr zurückgezogen lebte. Benny war sehr verstört, und ich nahm ihn auf, damit er in diesem Zustand nicht in ein Tierheim muss. Ich wollte ihn einfach wieder zu sich kommen lassen und dann ein schönes Zuhause für ihn suchen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er solche Überraschungen in petto hat, die eine Vermittlung für ihn schwierig machen.«
»Gut, dann sehe ich mir sein spezielles Hobby doch einmal an«, sage ich und reibe mir gespannt die Hände.
»Vielleicht können Sie eine nachbarschaftliche Hundebegegnung organisieren, und den Rest machen wir dann in dem Hundeauslauf, von dem Sie mir am Telefon erzählten?«
Die Frau nickt zustimmend und zückt ihr Handy.
Drei »Standby-Trainingspartner« werden von unserem Kommen in Kenntnis gesetzt und um die Weitergabe der Informationen an die anderen gebeten. Als wir das Hoftor mit vier frei laufenden Neufundländern und einem angeleinten Terrier verlassen, sehe ich eine sich langsam bildende Formation aus Hundebesitzern, die – aus verschiedenen Ecken kommend – nun einer gemeinsamen Richtung folgen. Ich muss schmunzeln, denn das Bild erinnert mich an die Versammlung der Menschen bei der ersten Leipziger Montagsdemo.
Der Nachbarshund, den wir treffen, ist ein roter Cocker Spaniel, den eine ältere Dame zwei Grundstücke weiter an der Leine hält. Er wird von den Neufundländern mit ein paar freudigen Wedlern ihrer buschigen Schwänze begrüßt, ohne dass sie ihr Tempo dabei beschleunigen würden. Der Cocker Spaniel wackelt heftig mit seinem kleinen Hundepopo, und in seinen aufgerissenen Augen blitzt Unternehmungslust auf.
»Oh, toll! Die Hochhäuser sind unterwegs. Freue mich, euch zu sehen! Ich stehe schon länger hier rum.« Er springt begeistert in die Leine, und die ältere Dame wankt einen gefährlich großen Schritt nach vorn.
Die Neufundländer haben den Cocker Spaniel jetzt erreicht und beugen ihre vier großen Köpfe schnüffelnd zu ihm hinunter. Der Cocker Spaniel leckt ihnen begeistert die Lefzen. »Ihr seid meine Rettung, echt!« Er zieht jetzt energisch in die Richtung, die die Neufundländergruppe nimmt. Die alte Dame folgt hüpfend, in kleinen, schnellen Schritten.
Es fällt auf, dass der Westie sich nun auf der Straße deutlich stiller verhält als im Hof. Er fiept nur leise und hechelt stark, während er damit beschäftigt ist, konzentriert zu den Neufundländern zu ziehen und sein Ziel durch heftige Rucke an der Leine kundzutun.
»Soll ich ihn jetzt mal von der Leine lassen, damit Sie es sehen können?«, fragt die Frau und greift an den Karabiner von Bennys Leine.
»Läuft er dann nicht auf die Straße?«, frage ich besorgt. »Niemals, der ist nur mit seinem Hobby beschäftigt«, versichert die Frau und klickt den Karabiner ab. Augenblicklich verschwindet Benny unter den Neufundländern. Sein plötzlicher, lautloser Abgang hat etwas Unheimliches.
»Wo ist er denn?« Ich bücke mich und versuche, Benny zwischen den Beinen und dem langen Fell der Neufundländer auszumachen. Der Westie wechselt dort mit einer so verwirrend schnellen Geschwindigkeit die Plätze, dass selbst ein Hütchenspieler vor Neid erblassen könnte. Sein Kopf stößt dabei immer wieder kurz nach vorn in die Breitseite des Cockers. Jedes Mal, wenn dieser sich erschrocken umsieht, ist der Verursacher des Stübers jedoch bereits verschwunden. In Erwartung einer neuen Berührung beginnt der Cocker sich schließlich fortwährend hektisch umzuschauen und erinnert dabei an einen Menschen, der von einer Wespe gestochen wurde und nun hysterisch nach weiteren Wespen Ausschau hält.
Nun schon auf dem Bürgersteig kniend, sehe ich, wie der Terrier gezielt abwartet, bis der Cocker Spaniel in eine andere Richtung blickt, um ihn dann wieder mit einem kleinen Schnauzenstoß zu erschrecken. Er wirkt dabei hoch konzentriert und als würde er einer besonders wichtigen Arbeit nachgehen.
»So etwas habe ich noch nirgendwo erlebt«, gebe ich bewundernd zu.
Die Frau und die alte Dame blicken mit einem gewissen Stolz auf die Stelle, an der sie den Terrier vermuten.
»Ja, aber warum macht er das denn?« Die alte Dame schüttelt ratlos den Kopf.
»Ich habe bislang nur eine Vermutung, lassen Sie uns zuerst noch zu den anderen Hunden gehen, damit ich es noch ein paar Mal sehen
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