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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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zur Seite und bellt hysterisch. Der Schäferhund nähert sich noch einmal von hinten an, der Terrier springt wild schnappend auf ihn zu. Dem Schäferhund entfährt ein kurzes, tiefes Knurren. »Mach mal halblang«, könnte es ausdrücken.
    »Viel Übung mit fremden Hunden hat er nicht«, kommentiere ich meinen Eindruck.
    »Nein, die alte Dame ist ja nicht mit ihm zu anderen Hunden gegangen, sie hatte eher Angst«, sagt Bennys neue Besitzerin.
    Der Schäferhund legt jetzt seinen Kopf auf den Rücken des Terriers, um ihn ruhig zu halten. »Haaaar!« Ein sehr ernst zu nehmendes Knurren des Schäferhundes ermahnt den Terrier, endlich stillzustehen und seinen »Personalausweis« vorzuzeigen. Tatsächlich darf der Schäferhund jetzt am Hinterteil des Westies Erkundigungen einziehen, doch plötzlich schnellt Benny herum und schnappt den anderen in die Lefze.
    Ehe sich der Schäferhund von seinem Schreck erholt hat und selbst handeln kann, greife ich Benny mit einer Hand im Nackenfell, nehme mit der anderen sein Hinterteil, hebe ihn kurz hoch und lege ihn dann auf die Seite. Er ist so überrascht, dass er einen Moment braucht, um sich zu orientieren. Diese Zeit nutze ich, um meine Hände gut zu positionieren. Mit der einen fasse ich um seinen Hinterkopf herum an sein Ohr, mit der anderen halte ich seine Hüfte unten. So kann ich ihn fast ohne Druck fixieren. (Wenn ich einen Hund – wie in diesem Fall den Schäferhund – nicht kenne, agiere ich selbst, weil ich nicht einschätzen kann, wie souverän der andere Hund reagiert und ob es für den Hund, mit dem ich arbeite, eine gute Erfahrung sein wird.)
    Der Schäferhund schnüffelt jetzt, die Gelegenheit nutzend, an Bennys Hinterteil. Dieser beginnt augenblicklich unter meinen Händen zu toben. Ich kann seine Wut in meinen Handflächen spüren. Sicher hat er bisher weder Erfahrungen mit Grenzsetzungen durch Menschen noch durch Hunde gemacht. Ähnlich einem Kind, das nie mit anderen Kindern zusammen war, immer bekam, was es wollte, und niemals Regeln einhalten musste. Später benimmt es sich asozial, weil es nie lernen durfte, mit seinen Gefühlen umzugehen, wenn es mal nicht nach seinem Kopf geht und es sich den Regeln einer Gemeinschaft anpassen muss. Erschwerend kommt seine große Unerfahrenheit im Umgang mit anderen hinzu, weil ihm das Kennenlernen der Umgangsformen verwehrt blieb.
    Was für einen Menschen nur mühsam nachzuholen ist, können viele Hunde auffallend rasch meistern. Wenn man ihnen ermöglicht, kontrollierte Kontakte zu Artgenossen aufzunehmen und dabei ihr Fehlverhalten korrigiert und ein soziales Verhalten bestärkt wird, kann man sehr schnell wieder ihre natürlichen Instinkte ansprechen. Vielleicht liegt das daran, dass hündische Instinkte nicht von einem kranken Geist blockiert werden, sondern sie häufig einfach nur nicht ihre Instinkte leben durften.
    Benny hat sich jetzt, auf der Seite liegend, beruhigt, weshalb ich meine Hände leicht anhebe, um den Druck ganz wegzunehmen. Sobald er jedoch einen Impuls zum Aufstehen zeigt, lege ich meine Hände wieder kurz auf ihn, damit er versteht, dass er nun zwar frei ist, aber sich erst noch entspannen soll. Es geht nicht nur darum, Benny mit Druck zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, sondern vor allem darum, dass er selbst das Angenehme an seiner Entspannung in der Situation spürt und sich dadurch etwas in ihm verändern kann. Würde ich ihn also sofort aufspringen lassen, wenn er sich »ergeben« hat, wäre das nur ein Triumph für mich und eine Niederlage für ihn, aber kein Gewinn für uns beide.
    Obwohl der Schäferhund mir noch immer wachsam bei Benny assistiert, kann ich jetzt meine Hände heben: Der Terrier bleibt entspannt liegen.
    Hunde wie Benny, die lange keinen Kontakt mit Artgenossen hatten und sich deshalb asozial verhalten, rufen in mir immer das Bild eines Handwerkers hervor, der bisher alles mit einem Hammer erledigte, weil er keine anderen Werkzeuge zur Verfügung hatte. Man muss Benny erst einmal den »Hammer« wegnehmen, damit er weitere »Werkzeuge«, die ihm instinktiv zur Verfügung stehen, ausprobiert. Das wichtigste Werkzeug dafür wäre sein Sozialorgan: die Nase. Es fällt auf, dass er bei den Jagdspielen unter den Neufundländern nie seine Nase benutzte, sondern nur auf optische Reize reagierte. Allein, dass er damit auf die wichtigsten Informationen verzichtet, die ein Hund sich über einen anderen verschaffen kann, macht ihn sozial inkompetent. Vergleichbar wäre das mit

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