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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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schnappt ihn sich und wendet in Richtung Ufer. Mitja kreiselt mit aufgerissenen Augen um die eigene Achse, blickt suchend um sich und steigert sich in Sekunden in eine Verzweiflung hinein, die ihm jede Kontrolle über die Situation zu nehmen scheint.
    »Mitja!«, spreche ich ihn an. Er beginnt panisch mit den Vorderpfoten auf das Wasser zu schlagen.
    »Mitja, hiiiierher!« Sein Kopf zuckt zu mir herum. Er nimmt mich wieder wahr, kommt zurückgeschwommen, springt an Land und lässt seine innere Erregung an ein paar Zweiglein an einem Busch ab, die er ins Maul nimmt und wild zerschreddert. Dabei fiept er genervt und beginnt, in abgehackten Tönen zu schreien.
    »Mitja, schhhhhhhhhhhh, ruhig.« Er verstummt und blickt mich angespannt an. Er erinnert mich an ein unter Strom stehendes, sirrendes Trafohäuschen kurz vor der Explosion. Plötzlich hockt er sich hin. Die Aufregung hat einen Durchfall produziert.
    Ich stehe mit hängenden Schultern da und blicke fassungslos auf meinen Hund, bei dem ein einziger Moment reichte, um einen Schalter umzulegen, den ich sorgsam im Auge zu haben glaubte.
    In gedrückter Stimmung laufen wir am Ufer Richtung Auto zurück. Mitjas Augen sind starr auf das Wasser gerichtet. Ich muss ihn ständig stoppen, damit er nicht losläuft, um nach einem Stock zu suchen. Plötzlich fliegt unweit von uns ein Ball ins Wasser, den eine Frau für einen Stafford Terrier wirft. Mitja schießt los. Mein Rufen kommt in seinem Universum nicht mehr an. Ich muss mit nackten Füßen und hochgekrempelten Hosenbeinen in den See hineinlaufen, um ihn am Geschirr zu erwischen. Er taumelt, als ich ihn greife. Sein Blick huscht über mich hinweg, Mitja scheint unangenehm berührt. Ich bin ein Hindernis, das ihm den Weg versperrt, um an den Stock zu kommen. Etwas so Trauriges wollte ich nie sein.
    Ich atme tief durch und durchdenke die Situation. Während am Anfang nur Mitjas Beutetrieb nach einem fliegenden Stock angesprochen wurde, ist dieser nun deutlich umgekippt in die Sucht nach dem Adrenalinkick, den die Triebbefriedigung ihm mehrfach verschafft hatte. Obwohl ich bemüht war, genau das zu vermeiden, wechselte er in diesen Rauschzustand. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass ein Hund süchtig ist, ist, dass er nicht mehr nur triebhaft auf einen Reiz reagiert, der stattfindet, sondern verzweifelt nach diesem Reiz verlangt, wenn er nicht stattfindet. Hunde, die sich auf nichts anderes mehr konzentrieren können, als auf den Ball, den ein Mensch in seiner Tasche trägt, gehören zum Beispiel dazu.
    Ich entwerfe einen Plan, um zu erreichen, dass Mitja zwar weiter Stöcke holen kann, aber nicht mit Sucht darauf reagiert. Die Alternative, einfach nie wieder einen Stock zu werfen, kommt für mich nicht in Frage, weil eine Vermeidung der Situation die Sucht nicht heilt. Sie kann dadurch zu einem »Schläfer« werden, der nur auf einen neuen Reiz wartet, um wieder aktiv zu werden. Das können dann zum Beispiel vorbeifahrende Autos sein oder Fahrradfahrer, die sich schnell bewegen. Auch ist es schließlich nicht möglich, alle anderen Menschen zu kontrollieren, damit sie an einem See keinen Stock oder Ball ins Wasser werfen.
    Als wir wieder zum See gehen, beginnt Mitja im Wald wie von unsichtbaren Fäden gezogen nach vorn zu laufen. Deshalb erkläre ich den Raum vor mir zum Tabu und laufe bewusst langsam weiter. So muss Mitja sich neben mir dem langsamen Tempo anpassen, was seine ganze Aufmerksamkeit erfordert. Durch die Konzentration darauf hat er in diesem Moment keine Möglichkeit, seiner Sucht Aufmerksamkeit zu schenken.
    Am See angekommen setze ich mich hin und warte, bis sich Mitja zu entspannen beginnt. Obwohl er unruhig, mit einem fiebrigen Blick die Wasseroberfläche absucht, kommt er nach zwanzig Minuten zur Ruhe, weil ich ihm nicht erlaube, Stöcke aufzunehmen. Dann ziehe ich mir die Schuhe und Hosen aus und teste mit den nackten Füßen die Wassertemperatur. Es ist noch so kalt, wie ich erwartet habe. Auf Zehenspitzen gehe ich in den See, spritze mich vorsichtig nass und lasse mich mit viel Überwindung in die kalte Flut fallen. »Huuu, haaa, aaaah.« Frieda und Tinka stehen am Ufer und blicken mir mit einer gewissen Nachsicht hinterher. »Wenn du das brauchst …«, scheinen ihre Blicke zu sagen. Sie würden niemals auch nur die Pfoten in das kalte Nass setzen.
    Mitja ist in einer abwartenden, lauernden Haltung. Er hält den Kopf gesenkt und sieht mich fragend an. Ich fordere ihn auf, mir zu folgen: »Na los,

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