Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
mein Großer. Auf geht’s ins Schwimmbad.« Unsicher setzt er die Pfoten in das Wasser. Jetzt, da er ohne die Motivation der Beute einfach schwimmen soll, ist ihm die Sache nicht mehr geheuer. Ich nehme ihn an die Leine, weil er sich nicht hereinwagt.
»Komm«, ermutige ich ihn und schwimme, die Leine haltend, entschlossen los. Seine Vorderpfoten patschen einen kurzen Moment lang auf die Wasseroberfläche, dann beruhigt er sich. Er schaut mich fragend an und kommt geradewegs auf mich zu. Ich halte eine Handfläche im Abstand von einem halben Meter senkrecht nach oben aus dem Wasser, um kenntlich zu machen, wo ich ende und ein Aufschwimmen seinerseits zu vermeiden. Er schwimmt einen Bogen und will an mir vorbei. »Hoooo«, brumme ich in einem tiefen Ton, um ihn abzubremsen. Er verlangsamt das Tempo und ist nun neben mir. Nach kurzer Zeit finden wir in einen gemeinsamen Rhythmus. Das verlangt Achtsamkeit füreinander und erzeugt ein schönes Gefühl von Verbundenheit. Leider halte ich es im kalten Wasser nicht länger als fünf Minuten aus. Dann muss ich, krebsrot vor Kälte, den See verlassen.
Mitja springt freudig ans Ufer, schüttelt sich und wedelt stolz mit dem Schwanz. »Wow, das hast du toll gemacht, mein Lieber. Große Klasse«, spende ich ihm Anerkennung. Noch bevor ich die Hoffnung fassen kann, dass seine Stocksucht vielleicht doch nicht so schlimm ist, rennt er auf einen kleinen Ast zu und beißt fahrig hinein.
»Ssst«, unterbreche ich ihn. Er lässt den Stock fallen und blickt mich sehnsüchtig an. »Bitte wirf. Biiitte. Es ist dringend!«, könnte man seinen Blick übersetzen.
Nach meiner Erfahrung ist die einzige Chance, in das Suchtverhalten eines Hundes heilsam einzugreifen, einen seiner anderen Triebe anzusprechen. Ich nutze dafür den Trieb des Hundes, sich den Entscheidungen des Wesens anzuvertrauen, das die Gruppe führt. Die Kompetenz dieser Führung muss jedoch bereits im Alltag nachgewiesen sein und kann nicht als stumpfes Kommando eingefordert werden. Erlernte Kommandos wie »Pfui«, Sitz«, Aus« sind deshalb nur schlecht geeignet, weil sie auf keinen instinktiven Trieb des Hundes zurückgreifen und häufig nur einen Triebstau bewirken. Die innere Erregung des Hundes steigt dann weiter an, während er auf Kommando rein äußerlich eine ruhige Körperhaltung bewahrt. Löst man das Kommando auf, entlädt sich der Trieb.
Ich stelle mich nun an das Ufer und begrenze den Raum vor Mitja mit einer kurzen Bewegung auf ihn zu. Als er, sich über die Schnauze leckend, beschwichtigt, trete ich wieder zur Seite und werfe einen Stock ins Wasser.
»Scht«, erkläre ich das Objekt zum Tabu.
Ein Ruck geht durch Mitja hindurch, und ich trete ihm nochmals kurz entgegen, um ihn zu stoppen. Er sinkt, vor Erregung zitternd, auf seinen Hundepopo. Der Stock treibt zwei Meter vor uns auf dem See. Er starrt ihn an.
»Sssst.« Er blickt wieder zu mir.
Während er gestern für einen kurzen Moment in seiner Sucht verschwunden und nicht mehr für mich erreichbar war, erlaube ich ihm nun in einer solchen Situation nicht mehr, aus dem Kontakt mit mir zu gehen.
Ich werfe den nächsten Stock. Er bleibt sitzen, obwohl es in ihm zuckt. Mehrfach blickt er mich mit riesigen Augen bittend an. Er fiept leise. Gähnt gestresst. Ich atme tief durch, denn er braucht jetzt meine Unterstützung, nicht mein Mitleid.
Mir fällt ein Film ein, in dem ein jugendlicher Junkie, unterstützt von seinen Eltern, einen Entzug zu Hause wagt. Ab einem bestimmten Zeitpunkt schreit und bettelt er verzweifelt um Stoff. Er fleht die Eltern an. Er weint. Er schlägt mit dem Kopf an die Wand. Bettelt wieder um Stoff. Für die Eltern ist es eine Qual, im Interesse des Jungen stark zu bleiben, aber sie schaffen es. Diese Erinnerung motiviert mich.
Ich beginne mir vorzustellen, wie Mitja ruhig in der Sonne sitzt, herumschnüffelt, mit mir schwimmt oder einen Stock aus dem Wasser holt, wenn ich ihn werfe. Entspannt und freudig. Mein eigener Atem wird ruhig dabei. Es ist ein ganz simpler Trick, sich einfach das vorzustellen, was man erreichen möchte, denn so kommt die geistige Verfassung, die man dazu braucht, von ganz allein. Nach ungefähr zehn Minuten legt sich auch Mitja hin. Sein Blick ist weich geworden, und seine zuckende Nase nimmt die Umgebung wieder wahr. Ich werfe den nächsten Stock. Er schießt zurück in die sitzende Haltung und starrt dem Stock hinterher.
»Ssst!« Ich korrigiere ihn mit einem leichten Stüber meines Zeigefingers
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