Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
in die Seite. Er legt sich unaufgefordert hin, denn er hat die beruhigende Wirkung dieser Körperhaltung noch in Erinnerung. Würde ich ihn auffordern, »Platz« zu machen, um den Prozess zu beschleunigen, hätte ich ihm eine Aktion aufgezwungen, die er erfüllen muss, und damit seine Entspannung verhindert.
Mitja selbst ist ein Meister in der Korrektur unruhiger und nervöser Hunde. (Nach meiner Beobachtung reagieren viele Hunde auf einen »Spiegel« ihrer eigenen Natur besonders stark.) Wenn er einen nervösen, aufgeregten Hund blockt, wartet er so lange über oder vor ihm stehend, bis sich dieser beruhigt hat. Häufig wundern sich die fremden Hundebesitzer dann darüber, dass Mitja den betreffenden Hund auch dann noch nicht freigibt, wenn dieser bereits still steht oder auf dem Rücken liegt wie ein erstarrtes Huhn. Das tut Mitja erst, wenn er auch dessen innere Ruhe spürt. So habe ich unter anderem von ihm selbst gelernt, dass die äußere Körperhaltung allein nichts über eine innere Verfassung aussagt.
Ich beobachte nun also auch Mitja genau, und obwohl er sich bereits hingelegt hat, geht sein Atem noch zu schnell, und seine Augenbewegungen sind zu angespannt, als dass er innerlich entspannt wäre. Nach drei Stunden kann ich Stöcke in den See werfen, während Mitja im Halbschlaf auf der Seite liegt. Dann gehen wir nach Hause.
Am nächsten Morgen absolviere ich dasselbe Programm. Dieses Mal dauert es nur vierzig Minuten, bis Mitja entspannt den fliegenden Stöcken hinterhersehen kann. Danach verstecke ich das Frühstück aller drei Hunde in den Büschen, im hohen Gras und auf den Astgabeln von Bäumen, die sie erreichen können.
»Und los.« Während ich die Tageszeitung lese und einen Kaffee trinke, höre ich ihr geräuschvolles Suchen um mich herum. Nach einer halben Stunde legen sich nach und nach alle Hunde zu mir. In diesem völlig entspannten Zustand nehme ich einen Stock in die Hand. In Mitjas Augen zuckt es.
»Ssssst.« Das Flackern verschwindet. Ich werfe den Stock in den See und erkläre ihn vorher noch einmal zum Tabu. »Scht!« Mitja legt den Kopf ab.
Nachdem ich ungefähr zehn Stöcke geworfen habe und Mitja dabei entspannt blieb, überrasche ich ihn nach dem elften Wurf mit einem ruhigen »Bitte« und zeige in die Richtung des Sees. Mitjas Kopf geht hoch. »Im Ernst?«, fragt sein Blick, und die Oberlippe ist seitlich in den Fang geklemmt.
»Okay. Bitte«, ermutige ich ihn noch einmal. Voll Freude springt er auf und in den See hinein. Er holt den Stock, bringt ihn zu mir zurück und wirft ihn vor meine Füße. Ich nehme ihn und lege ihn neben mich. Dann entspannen wir wieder gemeinsam.
Auf diese Weise verbringen wir die nächsten zwei Wochen am See, dann ist es geschafft. Er zeigt keine Anzeichen von Sucht mehr.
Heute ist Mitja eineinhalb Jahre alt, und noch immer liebt er es, Stöcke aus dem Wasser zu holen. Er ist zwar ein Ex-Junkie auf Lebenszeit, aber noch stärker ist er Mitja.
Loslassen
Ich weiß nicht mehr, wann mir Farina anvertraute, dass sie magersüchtig ist, aber es war nicht zu übersehen. Das lag nicht nur daran, dass sie extrem dünn war, sondern auch an dem Ausdruck ihres Körpers, den sie zackig und sehr aufrecht, wie einen kleinen Soldaten, vorantrieb. Ich kenne diese innere Unruhe, gepaart mit einer unangemessenen Härte zu sich selbst von einigen magersüchtigen Mädchen, die ich therapeutisch begleiten durfte.
Ich lerne Farina in einem Führungskurs in meinem Hundezentrum kennen. Sie wartet zurückgezogen im Hintergrund und hat einen kräftigen Deutsch-Kurzhaar-Rüden dabei, der ihr in ihrem soldatischen Ausdruck in nichts nachsteht. Mit finsterer Miene steht er steifbeinig neben ihr und kommentiert grollend und knurrend die Anwesenheit aller anderen Hunde.
Kommt jemand Farina zu nahe, quittiert er das mit einem Angriff nach vorn. Die junge Frau stemmt sich mit aller Kraft gegen die Leine, und es grenzt an ein Wunder, dass sie den ungefähr vierzig Kilo wiegenden Hund, der schwerer scheint als sie selbst, überhaupt halten kann.
Wenn ich Farina im Laufe des Trainings anspreche, lächelt sie stets. Sie zückt dieses Lächeln wie eine Maske, die sie bereithält, um dahinter zu verschwinden. Nur ihre großen grünen Augen zeigen deutlich einen Ausdruck wacher Vorsicht.
Bald lerne ich sie und ihren Hund Lord bei einer Trainingsaufgabe besser kennen. Die Übung könnte man überschreiben mit: »Wie lerne ich, meinen Hund nicht bei der Entspannung mit ›Sitz‹,
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